12. JAHRGANG I SONDERAUSGABE I 35,20 EUR WWW.FUS-MAGAZIN.DE ZEITSCHRIFT FÜR FAMILIENUNTERNEHMEN UND STRATEGIE RECHT – MANAGEMENT – FAMILIE – STIFTUNG – VERMÖGEN Sonderausgabe 2. Auflage Der kompetente Gesellschafter Gesellschafterkompetenz in Unternehmerfamilien Purpose-Diskussion in Familienunternehmen Was ein Gesellschafter über Strategie wissen muss Business Governance Family Governance Die Entwicklung einer Nachhaltigkeitsstrategie in Unternehmerfamilien Leitlinien für die Nachfolgeplanung Das psychosoziale „Starter-Kit“ des Gesellschafters Die zwei Seiten der digitalen Reife in Familienunternehmen Mit dem richtigen Rechnungswesen steuern! Den Einfluss der Gesellschafter sichern Faktoren der Rechtsformwahl Grundsätze der Investition Grundsätze der Finanzierung Geschäftsmodellinnovation – ein Muss im digitalen Zeitalter Steuern im Familienunternehmen (Teil I und II) SONDERAUSGABE I 2022 Gesellschafterkompetenz

Editorial Sachkundige Gesellschafter Verehrte Leserinnen und Leser, mit Sicherheit haben Sie sich als verantwortungs- bewusster Gesellschafter oder verantwortungsbewuss- te Gesellschafterin eines Familienunternehmens bereits die Frage gestellt: Reichen meine Kenntnisse eigent- lich aus, um einer aktiven Rolle im Gesellschafterkreis gerecht zu werden? Kann ich mit meinen Kenntnissen, obwohl ich fachfremd ausgebildet bin, meiner Verant- wortung als Eigentümer(in) gerecht werden? Schließ- lich ist offenkundig, wie wichtig fachlich und psycho- logisch versierte Gesellschafter für ein Familienunter- nehmen sind und wie tragisch Familienunternehmen abstürzen können, wenn Gesellschafterversammlun- gen wegen Unwissenheit oder „aus dem Bauch her- aus“ Entscheidungen treffen. Gesellschafterkompetenz bedeutet natürlich nicht, branchenspezifisches oder betriebswirtschaftliches Spezialwissen zu haben. Vielmehr geht es um die Fähigkeit, sich mit vielfältigen und ganz grundsätz lichen Angelegenheiten an der Schnittstelle zwischen opera- tiven Unternehmen, Eigentümern und Familie – auch kritisch – auseinanderzusetzen. Im besten Fall verfügen die Gesellschafter und Gesellschafterinnen über fächer- über greifende Kompetenzen, um sich Zusammenhänge erschließen zu können. Um solche Kenntnisse zu vermitteln, haben wir in der FuS eine Sonderausgabe Gesellschafterkompetenz aufgelegt, die nun in der zweiten Auflage aktualisiert erscheint und thematisch um weitere Bereiche ergänzt wurde. So haben wir Beiträge zum Purpose von Familienunternehmen, zur Entwicklung einer Nachhal- tigkeitsstrategie und zur Digitalisierung in Familien- unternehmen aufgenommen. Damit ist wiederum eine Ausgabe mit wertvollen fächerübergreifenden Informa- tionen aus rechtlicher, betriebswirtschaftlicher, steuer- licher und psychologischer Sicht entstanden, die Sie in Ihrer Arbeit als Verantwortungsträger(in) unterstüt- zen werden. Freuen Sie sich auf spannende Beiträge zur Stärkung Ihrer Kompetenz als Gesellschafter(in). Ich wünsche Ihnen eine erkenntnisreiche Lektüre! Während der Vorbereitung dieses Sonderhefts ist unser hoch geschätzter, allseits anerkannter Mitherausgeber der FuS und guter persönlicher Freund, Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Péter Horváth, plötzlich und unerwartet verstorben. Seine Beiträge für diese Sonderausgabe hatte er uns bereits eingereicht. Wir haben diese als seine letzten Veröffentlichungen posthum in diesem Heft zu seinem Gedenken abgedruckt. Als Wissen- schaftler und Unternehmensgründer hat er sich in zahl- losen Buch- und Zeitschriftenveröffentlichungen, so auch für die FuS, größte Anerkennung erworben. Die FuS und wir alle persönlich werden ihn als einen „Pio- nier des Controllings“ sehr vermissen. In memoriam Péter Horváth Prof. Rainer Kirchdörfer FUS I SONDERAUSGABE/2022 3

Inhaltsverzeichnis Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Péter Horváth . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54 Mit dem richtigen Rechnungswesen steuern! Welche Informationen sind relevant für welche Entscheidungen? Prof. Dr. Hermut Kormann . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59 Den Einfluss der Gesellschafter sichern Wie Governance Familienunternehmen strukturieren kann Dr. Christian Klein-Wiele und Christian Wurmthaler . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65 Faktoren der Rechtsformwahl Aus der Perspektive eines Familienunternehmers Prof. Dr. Hermut Kormann . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70 Grundsätze der Investition Die Umsetzung strategischer Ziele Prof. Dr. Hermut Kormann . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73 Grundsätze der Finanzierung Finanzplanung für die Risiken der Unternehmensführung Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Péter Horváth . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77 Geschäftsmodellinnovation – ein Muss im digitalen Zeitalter Die Struktur des Geschäfts ist permanent anzupassen Dr. Bertram Layer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81 Steuern im Familienunternehmen Teil I: Die Bedeutung der Steuern bei der Rechtsformwahl im Familienunternehmen Dr. Bertram Layer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86 Steuern im Familienunternehmen Teil II: Steuern auf Umstrukturierungen im Familienunternehmen Impressum. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91 Keywords . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91 FUS I SONDERAUSGABE/2022 5

Gesellschafterkompetenz recht beurteilen zu können. In jedem Fall muss auch der nicht operativ tätige Gesellschafter das Wissen und die Kenntnisse mitbringen oder sich aneignen, um die Dynamiken in der Fami- lie zu verstehen und die damit einhergehende Aufgabe der Ent- wicklung einer situationsgerechten Familien- bzw. Inhaberstra- tegie oder vergleichbarer Leitlinien für das „Management“ der Familie begleiten und auch prägen zu können. Hinzu kommt die Ausprägung der Fähigkeit, die zur Wahl in den Beirat oder ggf. die Geschäftsführung stehenden Familienmitglieder unvor- eingenommen zu beurteilen. Für Familienmitglieder, die nicht oder noch nicht zum Gesell- schafterkreis zählen, stehen andere Facetten der Gesellschaf- terkompetenz im Vordergrund. Hier geht es meist vorrangig um die Entwicklung eines Verständnisses für die Bedeutung des Unternehmens für die Familie, aber auch für das hiermit ver- bundene Potenzial an Spannungen und Belastungen. Zudem gilt es, sich das Basiswissen anzueignen, welches notwendig ist, um den Gesellschaftern ein guter Gesprächspartner in den Fragen des Familienunternehmens zu sein. II. Bausteine der Gesellschafterkompetenz In dieser Sonderausgabe werden die verschiedenen Baustei- ne der Gesellschafterkompetenz in 16 Beiträgen mit dem Ziel umfassend beleuchtet, den verschiedenen Gruppen von Fami- liengesellschaftern situationsgerecht das Rüstzeug zu vermit- teln, welches sie für eine verantwortungsvolle Ausfüllung ihrer Rolle als (künftige) Familiengesellschafter benötigen. Dies betrifft neben den grundlegenden Fragestellungen zum Aufbau und Einsatz von Gesellschafterkompetenz sowie zur Entwick- lung einer passgerechten Business- und Family Governance insbesondere die „klassischen“ Themen aus den Bereichen Recht, Steuern und Betriebswirtschaftslehre, bei denen gerade in den letzten Jahren bedeutsame Entwicklungen und Neure- gelungen mit erheblichen Auswirkungen auf die Welt der Fami- lienunternehmen zu verzeichnen waren. Mit Blick auf neuere Entwicklungen, die ebenfalls eine erheb- liche Ausstrahlungswirkung auf das Familienunternehmen haben, wurden zudem weitergehende Themenstellungen in die- sen Leitfaden aufgenommen. So beschäftigt sich ein Beitrag von Horváth mit der Diskussion um den Beitrag des Unterneh- mens zur Erreichung gesellschaftlicher Zielsetzungen („Purpose“) von Familienunternehmen. Hülsbeck und Gerlitz zeigen auf, wie eine praxisorientierte Nachhaltigkeitsstrategie in Unternehmer- familien entwickelt werden kann. Die praktisch eminent bedeut- same Thematik der Digitalisierung im Familienunternehmen wird einerseits in dem Beitrag von Clauß, Scheffler und Bendel aus einer holistischen, die Unternehmerfamilie in den Prozess einbeziehenden Perspektive beleuchtet. Das Zusammenspiel zwischen dem digitalen Transformationsprozess und der gerade in Familienunternehmen unerlässlichen fortlaufenden Überprü- fung des Geschäftsmodells auf Veränderungsnotwendigkeiten im Rahmen eines ganzheitlichen Ansatzes behandelt sodann wiederum Horváth und zeigt hier ebenso wie in seinen weite- ren Beiträgen zu dieser Sonderausgabe, welche große Lücke nach dem Tod dieses großartigen Wissenschaftlers und Unter- nehmers nicht nur im Herausgeberkreis der FuS zu schließen sein wird. Prof. Dr. Rainer Lorz, LL.M., ist Rechtsanwalt und Partner bei Hennerkes, Kirchdörfer & Lorz in Stuttgart sowie Honorarprofessor an der Universität Stuttgart. FUS I SONDERAUSGABE/2022 7

Gesellschafterkompetenz Programme zur Gesellschafterkompetenzentwicklung entstan- den. Eine wesentliche Grundlage dafür muss jedoch aus den Personen heraus kommen: die Motivation, ein verantwortungs- bewusster Gesellschafter oder eine verantwortungsbewusste Gesellschafterin sein zu wollen. Es ist leicht ersichtlich, dass es für die Verantwortungsgemein- schaft einer Unternehmerfamilie nicht ausreicht, wenn nur ein oder zwei Familienmitglieder aus einem Kreis von 20 oder mehr Personen die oben angeführten Fähigkeiten und Fertigkeiten besitzen. In einem zu großen Kompetenzgefälle innerhalb einer Familiengemeinschaft keimt die Gefahr, dass kompetenzorien- tierte, patriarchale/matriarchale Entscheidungsstrukturen ent- stehen und die Eigentümergemeinschaft vom Agieren dieser Einzelpersonen abhängig wird. Ebenso kann eine asymmetri- sche Verteilung von Wissen und Fähigkeiten ein Misstrauen der „Unwissenden“ gegenüber den „Wissenden“ entstehen lassen. Dies führt dann bei nicht nachvollziehbaren Entscheidungen oder in Krisensituationen meist dazu, dass die „Unwissenden“ sich bei potenziell kompetenten Externen (z.B. bei Anwälten) Unterstützung suchen, weil ihr Vertrauen in das Handeln der „wissenden“ Familienmitglieder erschüttert ist. Die Praxis zeigt, dass immer dann, wenn über lange Zeit eine größer werdende Anzahl von Familiengesellschaftern „unwissend“ gehalten wur- de (oder diese sich aus Bequemlichkeit nicht das notwendige Wissen angeeignet haben), dies zu Spannungen und in für das Unternehmen kritischen Zeiten zum Aufflammen von Familien- konflikten führt.5 Die Auseinandersetzung mit einem familieninternen Aus- und Weiterbildungskonzept stößt jedoch oftmals auf Unverständ- nis und sogar Widerstände. Warum soll man sich denn „auf Vorrat“ Kompetenzen und Fähigkeiten aneignen, von denen man nicht einmal genau weiß, ob diese überhaupt jemals und, wenn ja, wann gebraucht werden? In Bezug auf die Ausbildung und Entwicklung von jüngeren Familiengesellschaftern wird zudem regelmäßig die Sorge vorgebracht, dass entsprechende Programme in den individuellen Erziehungsansatz der Kern- familie eingreifen könnten. Oftmals wird es als unpassend und unnötig empfunden, sich im Kreise der Familie kollektiv oder individuell weiterzubilden und hierfür seine wertvolle Freizeit zu investieren. (Die gleichen Personen sind allerdings in ihrem eige nen Berufsleben gerne zu einer solchen Investition ihrer Zeit bereit.) Übersehen wird dabei die Notwendigkeit, zur Absicherung zu- künftiger Ausschüttungen und zum Erhalt des trans gene ra- tionalen Erbes durch eine kontinuierliche Weiterbildung im Kon- text der Unternehmerfamilie selbst etwas beizutragen. Aber nicht nur aufseiten der nicht im Unternehmen tätigen Fami- lienmitglieder lassen sich Vorbehalte finden. Die Praxis zeigt, dass insbesondere operativ tätige Familiengesellschafter vor ei- nem umfassenden Kompetenzaufbau im Gesellschafterkreis zurückschrecken. Hier herrscht dann beispielsweise die Sorge vor, dass zu viele kritische Diskussionen mit „halbgebildeten“ Gesellschaftern entstehen könnten, die die eigene Gestaltungs- kraft und -freiheit einengen. Ein ehemaliger geschäftsführender Gesellschafter formulierte es wie folgt: „Ich halte es für unzu- mut bar, wenn Nachwuchsgesellschafter, nachdem sie ein 5 S. hierzu ausführlich Schlippe/Rüsen (2020). fünftägi ges Strategieseminar an einer vermeint lichen Top-Busi- ness-School absolviert haben, mir und meinen Geschäftsführerkol- legen erklären wollen, wie wir die Strategie des Unternehmens und die Digitalisierung gestalten sollen. Hier führt angeeignetes Halbwissen zu einer Gefährdung des Betriebs ablaufs.“ Es ist bedauerlich und hochproblematisch, wenn sich die ope- rativ tätigen familieninternen und -externen Führungskräfte von den Gesellschaftern „vorgeführt“ oder provoziert fühlen. Dies ist niemals das angestrebte Ergebnis von Maßnahmen zum Aufbau von Gesellschafterkompetenz. Umgekehrt kann das Kaltstellen von interessierten Gesellschaftern zu Frustra tion führen, zum Nachlassen des Verbundenheitsgefühls bis hin zum Wunsch nach einem Ausstieg. Eine systematische (!) Mög- lichkeit zu schaffen, damit noch unentdeckte, aber wertvolle Fähigkeiten und Kompetenzen in die Unternehmens- und Fa- milienentwicklung eingebracht werden können (z.B. durch in- formelle Hintergrundgespräche, Diskussionsrunden u.Ä.), kann einem Familienunternehmen sogar Vorteile einbringen. Gerade die in der Technologieszene und bei Start-ups tätigen Ange- hörigen der Next Gen sind die Träger wichtigen Wissens und sie haben Zugänge zu relevanten Netzwerken – sie wollen sich aber auch im Gesellschafterkreis gehört und ernst genommen wissen.6 Aus der Strategieforschung ist bekannt, dass Unternehmen über einen Wettbewerbsvorteil verfügen, wenn es ihnen gelingt, Ressourcen zu entwickeln, die wertvoll sowie selten bzw. nicht imitierbar sind und für die es keinen vergleichbaren Ersatz gibt.7 Gegenüber Nicht-Familienunternehmen haben Familienunter- nehmen hier spezifische Wettbewerbsvorteile. Dies liegt in ers- ter Linie an ihrem „Familienfaktor“: das spezifische Set von Ressourcen, das sich aus der Interaktion zwischen der Fami- lie als Ganzem, ihren einzelnen Mitgliedern und dem Unter- nehmen ergibt.8 Die Gesellschafterkompetenz der jeweiligen Unternehmerfamilie stellt einen ganz wesent lichen Bestandteil dieses Familienfaktors dar. Es sind in der Praxis sehr unter- schiedliche Impulse, die z.B. aus einer Gesellschafterver- sammlung bzw. aus den Überwachungsgremien eines Familien- unternehmens heraus auf dessen Geschäfts führung einwirken können. Je nach gewählter Governance-Struktur und den in diese eingebundenen Mitgliedern der Unternehmerfamilie ist die Familie an zentralen Entscheidungen des Unternehmens beteiligt. Für jede der hier tätigen Personen sind somit die je- weils vorhandenen Kompetenzen entscheidend. Neben den auf die Entwicklung des Unter nehmens gerichteten Aktivi täten ist es aber auch Kernauf gabe der involvierten Personen, Miss- verständnisse und Konflikte innerhalb der Unternehmerfamilie möglichst zu ver meiden. Gelingt es einer Unternehmerfamilie, das strukturelle Risiko durch potenzielle destruktive Einflüsse aus der Familie zu verringern, führt dies zu einer Aufrechterhal- tung der typischen Stärken und damit der Wett bewerbsvorteile des Familienunternehmens.9 6 Über den „digitalen Reifegrad“ einer Unternehmerfamilie, dessen spezifische Aus prägungsform durch die vorhandenen digitalen Fähigkeiten ihrer Mitglieder sowie den hierdurch geprägten Einfluss auf die digitale Transformation des Familien- unternehmens s. Rüsen (2021) sowie Rüsen et al. (2021) 7 Vgl. Barney (1991). 8 Vgl. Habbershon/Williams (1999). 9 Zur besonderen Verantwortung von Familiengesellschaftern vgl. Wimmer (2011). FUS I SONDERAUSGABE/2022 9

Gesellschafterkompetenz IV. Baustein drei: Verständnis für die Unter­ nehmensstrategie und das Zusammenwirken einzelner Elemente des Unternehmens Unabhängig von dem eigenen beruflichen Betätigungsfeld sollte jeder Gesellschafter durch entsprechende Schulungen und eine intensive Auseinandersetzung mit dem eigenen Unternehmen in der Lage sein, die zentralen Entscheidungen oder Entschei- dungs vorschläge der Geschäftsführung einzuordnen, zu beur- teilen und zu bewerten. Der Vertreter einer Unternehmerfami- lie formuliert es so: „Wir als Familie stehen auf dem Stand- punkt, dass unsere familienexternen Top-Manager ein Recht darauf haben, mit kompetenten Familiengesellschaftern zu sprechen.“ Ein sinnvoller Ansatz zur Festlegung der Inhalte einer Gesell- schafterkompetenzentwicklung ist die Orientierung an den übergreifenden Unternehmenszielen sowie den klassischen Kernfragen einer Unternehmensstrategie. Dazu zählt beispiels- weise: Was sind die spezifischen Markt- und Wettbewerbs- dynamiken des Unternehmens? Wer sind die A-Kunden und A-Lieferanten? Wer sind die Schlüsselmitarbeiter? Wo genau ist das Unternehmen dem Wettbewerb überlegen und wo nicht? Was ist für den Erfolg des Unternehmens überlebenswichtig? Wo gibt es technologische Entwicklungen, die das Unternehmen bedrohen könnten? Welche Digitalisierungs- und Nachhaltigkeits- strategien werden verfolgt? Diese speziellen Inhalte sind den Gesellschaftern primär zu ver- mitteln und nicht (wie leider häufig in der Praxis anzutreffen) nur das Grundlagenwissen der Betriebswirtschaftslehre. Viel zu oft beginnen erste Schulungen mit dem Punkt „Wie lese ich eine Bilanz?“. Es ist vielmehr ratsam, erst dann, wenn die grund legenden strategischen Rahmenbedingungen des Un- ternehmens erfasst worden sind, gezielt und am Beispiel des eigenen Unternehmens mit der Vermittlung der betriebs- wirtschaftlichen, steuerlichen und rechtlichen Grundlagen zu beginnen. V. Baustein vier: Verständnis für die Rolle eines Familiengesellschafters entwickeln Eigentümerschaft an einem Familienunternehmen ist im Selbstverständ nis vieler Unternehmerfamilien weit mehr als nur eine Beteiligung an einem Wirtschaftsunternehmen. In wel- cher Form hier ein Unterschied zu einer reinen Kapitalbe- teiligung besteht, welches Selbstverständnis und vor allem welche impliziten Erwar tungen in der Unternehmerfamilie vor- handen sind, müssen deren Mitglieder im Rahmen familien- strategischer Entwicklungs prozesse herausarbeiten und dann regelmäßig innerhalb der familieninternen Kommunikation thematisie ren.12 Die auf diesem Selbstverständnis basieren- den Wechseldynamiken zwischen den Erwartungen der Fa- milienmitglieder an ihre Gemeinschaft, an das Unternehmen und umgekehrt werden dadurch als solche klarer erkennbar. Folgender Leitsatz aus der Präambel einer Familienverfas- sung fasst dies kurz und prägnant zusammen: „Wir verstehen uns als Eigentümer an unserem Unter nehmen, nicht als Inves- toren. Uns ist bewusst, dass wir als Mitglie der einer aktiven 12 S. hierzu Rüsen (2020b). Eigentümerfamilie eine besondere Verantwor tung gegen- über unseren Mitarbeitern, der Region und unseren Vorfahren tragen.“ In diesem Zusammenhang sind die Werthaltungen der Unter- nehmerfamilie und die auf diesen Werten fußenden Handlun- gen und Maßnahmen mit ihren Konsequenzen regelmäßig zu betrachten. Hierzu bieten sich Zusammenkünfte wie etwa ein Familientag an, in dessen Rahmen u.a. folgende Fragen disku- tiert werden können: „Wo sind die Wurzeln unserer Familie?“, „Welche Geschichten über das Verhältnis von Familie, Unternehmen und lokaler Gemeinschaft aus der Zeit der Vor- gängergenerationen kennen wir?“ Neben solchem auf die Binnenperspektive der Familie bezo- genen Wissen gehören zu diesem Kompetenzbaustein auch grundlegende Kenntnisse und Kernergebnisse der Familien- unternehmensforschung. Hierzu zählen u.a. Theoriemodelle zur Beschreibung der besonderen Kommunikations- und Wechsel dynamiken von Familie und Unternehmen, Frage- stellungen zur Bewältigung der Gleichheits- bzw. Ungleich- heitsproblematik in der Nachfolgegestaltung, Ergebnisse der Untersuchungen zu den typischen Konfliktdynamiken in Unter- nehmerfamilien u.v.m. VI. Baustein fünf: Aufbau individueller Unternehmerfamilienkompetenz Eine besonders herausfordernde und zentrale Entwicklungs- aufgabe für Mitglieder von Unternehmerfamilien besteht schließlich in der Professionalisierung des eigenen Verhaltens gegenüber nahen oder entfernteren Verwandten. Viel zu oft hält die „enthemmte“ familiale Kommunikation Einzug in Bespre- chungen eines Familiengremiums oder z.B. in die Gesellschaf- terversammlung. Dies wird dann kritisch, wenn unterschied- liche Vorstellungen oder Erwartungen der Gesprächsteilnehmer aufeinandertreffen. Ziel ist die Ausbildung der Fähigkeit, sich im Kontext von Entscheidungen, die als Gesellschafter getroffen werden, gerade nicht in den typischen familialen Kommunika- tionsmustern zu verheddern, was bei einem nahen Verwandt- schaftsgrad immer wieder rasch passiert. Wird dies gemeistert, verbessert sich die Chance, dass man sich trotz verwandtschaft- licher Bindung bei unterschiedlichen Erwartungen möglichst konfliktfrei austauschen kann. Eine individuelle systematische Schulung in Grundlagen der Kommunikation wie auch die Schaffung von kommunikativen Räumen, in deren Rahmen die Familienmitglieder offen über ihre Situation und ihre Gefühle sprechen können, hat sich als überaus hilfreich erwiesen. Beispielsweise führen Mitglieder des Familiengremiums einer Unternehmerfamilie strukturierte Interviews mit den einzelnen Familienmitgliedern, sodass deren Fragen, Hoffnungen, Ängste und Motivationen, die mit ihrer Mitgliedschaft in der Unternehmerfamilie verbunden sind, disku tiert und behandelt werden können. Hier sind aller- dings Fingerspitzengefühl und kommunikative Fertigkeiten gefor dert. In anderen Fällen, etwa bei großzahligen Gesell- schafterkreisen, werden regelmäßig Familienbefragungen – ähnlich wie Mitarbeiterbefragungen – durchgeführt, um die aktuellen Frage stellungen, Wünsche und Bedürfnisse trans- parent zu machen. FUS I SONDERAUSGABE/2022 11

des Unternehmens beinhalten oder eine gezielte Ausbildung moderierender Kompetenzen bzw. solcher zur Steuerung und Führung von gruppendynamischen Prozessen unterstützen. • Für den Vorsitz eines entsprechenden Gremiums, um also in die Rolle des strategischen Vorbereiters von Gremienent- scheidungen bzw. zur Führung entsprechender Diskussio- nen zu kommen, ist eine kontinuierliche Weiterentwicklung des Kompetenzniveaus erforderlich. Dies wäre vergleichbar mit dem Führerschein, der zum Führen eines schweren Lkw oder eines Motorrads mit mehr als 35 kW berechtigt. Denk- bar sind hier sowohl weitere Vertiefungen über spezielle Coachings und Top-Executive-Programme als auch der ge- zielte Aufbau von Erfahrungswissen, etwa durch Tätigkeiten und Einsätze in anderen Unternehmen bzw. vergleichbaren Gremien oder auch durch einen systematisch organisierten Austausch mit anderen Gremienvertretern. VIII. Fazit Die Familienunternehmensforschung beobachtet für Familien- unternehmen im deutschsprachigen Raum, dass zukünftig eine immer größer werdende Anzahl von nicht-aktiven Gesellschaf- terinnen und Gesellschaftern über die Geschicke dieser Unter- nehmen entscheiden wird. Aus dieser Beobachtung ergibt sich eine zunehmende Notwendigkeit, die Gesellschafterkreise zu befähigen, kompetent und verantwortungsbewusst über ihr „geliehenes Erbe“ zu entscheiden. Hierdurch erhöht sich die Chance, eine „Enkelfähigkeit“ herbeizuführen. Zu groß ist die Gefahr, dass anderenfalls die Bindung der Gesellschafter an ihr Unternehmen erodiert oder komplexe Aufgaben durch die Unternehmerfamilie nicht mehr bewältigt werden können. LITERATURVERZEICHNIS Astrachan, J. H./Pieper, T. M. (2010): Mit Familienunternehmensfamilien arbeiten. Typische Szenarien und Interventionsvorschläge. In: Familiendynamik, 15(1), S. 4–9. Barney, J. (1991): Firm Resources and Sustained Competitive Advantage. In: Journal of Management, 17(1), S. 99–120. Dethleffsen, C./Michaelis, K. (2020): Familie Dethleffsen – Fallbeispiel HGDF Unternehmerfamilie. In: Rüsen, T. A./Heider, A. K. (Hrsg.): Aktive Eigentümerschaft im Fa­ milienunternehmen. Gesellschafterkompetenz in Unternehmerfamilien entwickeln und anwenden. Berlin: Erich Schmidt, S. 383–392. Habbershon, T. G./Williams, M. L. (1999): A Resource­Based Framework for Assessing the Strategic Advan­ tages of Family Firms. In: Family Business Review, 12(1), S. 1–25. Kormann, H. (2010): Zusammenhalt der Unternehmerfamilie: Verträge, Vermögens­ management, Kommunikation. Berlin: Springer. Kormann, H. (2011): Gesellschafter und die Strategiearbeit. In: EQUA­Stiftung (Hrsg.): Gesellschafterkompetenz. Die Verantwortung der Eigentümer von Familienunternehmen. Bonn: Unternehmer Medien, S. 34–47. Rüsen, T. A. (2021): Management der Unternehmerfamilie 4.0. Formen eines digitalisier­ ten Familienmanagements und Ansätze, den Austausch und Zu­ Gesellschafterkompetenz sammenhalt in einer Lockdown­Situation zu organisieren. In: FuS – Zeitschrift für Familienunternehmen und Strategie, 11(2), S. 42–48. Rüsen, T. A. (2020a): Gesellschafterkompetenz in Unternehmerfamilien. Alles, was ein Ge sellschafter und dessen Angehörige wissen und können sollten. In: Rüsen, T. A./Heider, A. K. (Hrsg.): Aktive Eigentümerschaft im Familienunternehmen. Elemente der Gesellschafterkompetenz in Unternehmerfamilien. Verstehen – Entwickeln – Anwenden. Berlin: Erich Schmidt, S. 25–48. Rüsen, T. A. (2020b): Familienstrategien in Unternehmerfamilien. In: Rüsen, T. A./Heider, A. K. (Hrsg.): Aktive Eigentümerschaft im Familienunternehmen. Ele­ mente der Gesellschafterkompetenz in Unternehmerfamilien. Verste­ hen – Entwickeln – Anwenden. Berlin: Erich Schmidt, S. 211–228. Rüsen, T. A./Heider, A. K./Hülsbeck, M./Orenstrat, R. (2021): Der Einfluss der Unternehmerfamilie auf den Digitalisierungsprozess des Familienunternehmens. Determinanten und Wirkung des „Digi­ talen Reifegrades“ einer Unternehmerfamilie. Studie des Wittener Instituts für Familienunternehmen (WIFU). Witten: WIFU. Rüsen, T. A./Kienbaum, F./Kirchhoff, A./Steiner, V. (2022): Enkelfähig wirtschaften. Familienunternehmen in Deutschland. Carl Hanser. Rüsen, T. A./Löhde, A. S. (2019): Die Unternehmerfamilie und ihre Familienstrategie. Einblicke in die gelebte Praxis von Family Governance. WIFU­Studie. Witten: WIFU. Rüsen, T. A./Stangenberg-Haverkamp, F. (2020): Familienmanagement im Hause Merck: Ansätze und Maßnahmen zur Entwicklung von Gesellschafterkompetenz. In: Rüsen, T. A./ Heider, A. K. (Hrsg.): Aktive Eigentümerschaft im Familienunterneh­ men. Gesellschafterkompetenz in Unternehmerfamilien entwickeln und anwenden. Berlin: Erich Schmidt, S. 393–398. v. Schlippe, A./Rüsen, T. A. (2020): Konflikte und Konfliktdynamiken in Unternehmerfamilien. Empfeh­ lungen zum Umgang mit familieninternen Auseinandersetzungen. Praxisleitfaden des Wittener Instituts für Familienunternehmen (WIFU). Witten: WIFU. Wimmer, R. (2011): Die besondere Verantwortung von Gesellschaftern in Familienun­ ternehmen. In: EQUA­Stiftung (Hrsg.): Gesellschafterkompetenz. Die Verantwortung der Eigentümer von Familienunternehmen. Bonn: Unternehmer Medien, S. 25–33. Prof. Dr. Tom A. Rüsen ist Vorstand der WIFU­Stiftung und Geschäftsführender Direktor des Wittener Instituts für Familien­ unternehmen (WIFU) in Witten an der Ruhr. KEYWORDS Verantwortung • Enkelfähigkeit • enkelfähiges Wirtschaften FUS I SONDERAUSGABE/2022 13

Gesellschafterkompetenz Die 17 UN-Entwicklungsziele Ziele für nachhaltige Entwicklung keine Armut kein Hunger Gesundheit und Wohlergehen hochwertige Bildung Geschlechter- gleichheit sauberes Wasser und Sanitär- einrichtungen bezahlbare und saubere Energie menschenwürdige Arbeit und Wirt- schaftswachstum Industrie, Innovation und Infrastruktur weniger Ungleichheit nachhaltige Städte und Gemeinden nachhaltiger Konsum und Produktion Maßnahmen zum Klimaschutz Leben unter Wasser Leben am Land Frieden, Gerechtigkeit und starke Institutionen Partnerschaften zur Erreichung der Ziele Abb. 1; Quelle: Eigene Darstellung dass die langfristige maximale Erhöhung des Unternehmens- werts das einzige „richtige“ Unternehmensziel sei. Dieser Ansatz ist aus der Sicht von großen Publikumsgesellschaften sicher nachzuvollziehen, weil dort das Management unter dem Vorwand, bestimmten Stakeholdern zu dienen, auf Kosten der Eigentümer (Aktionäre) unwirtschaftliche Entscheidungen treffen könnte (z.B. sich exorbitante Gehälter genehmigen)8. Die „Mainstream-Betriebswirtschaftslehre“ hat in den letzten Jahrzehnten neben dem Shareholder-Value-Ansatz auch die sogenannte Vertragstheorie (Principal-Agent-Theorie) zur Basis der Analysen gemacht: Arbeitsbeziehungen im Unter- nehmen beruhen auf Verträgen zwischen eigennutzorientierten Individuen. Übergeordnete, gar gemeinwohlbezogene Zielset- zungen spielen bei der Gestaltung der Verträge keine Rolle. Das materielle persönliche Interesse der Vertragspartner steht dabei im Mittelpunkt. Die Kombination von Shareholder Value mit dem Principal- Agent-Ansatz ist seit Aufkommen der Nachhaltigkeitsthematik in Verruf geraten. Der Begriff Shareholder Value wird in der Dis- kussion geradezu als Schmähung benutzt, obwohl die Grund- idee der Nachhaltigkeit der langfristigen Existenzsicherung für das Unternehmen entspricht. Simon ist recht zu geben: „Gewinn ist und bleibt das alleinige Kriterium für den nachhalti- gen Erfolg und die Überlebensfähigkeit von Unternehmen.“9 Die Corporate Social Responsibility (CSR) ist nun seit ca. 30 Jahren das Konzept, das dem unternehmerischen Gewinn- streben den Rahmen liefert. Das Unternehmen soll Ökonomie, Ökologie und Soziales in Einklang bringen. Man spricht von der „Triple Bottom Line“10. Dies ist keine mathematisch zu lösende Aufgabe: Sie verlangt vielmehr nach Priorisierungs- entscheidungen. Dennoch sichert dabei nur die Einhaltung öko- nomischer Grundregeln im Sinne der Wirtschaftlichkeit und der Rentabilität das unternehmerische Überleben. 8 Vgl. Rappaport (1999), S. 8. 9 Simon (2020), S. 7. 10 Vgl. Elkington op. (1998). FUS I SONDERAUSGABE/2022 15

Gesellschafterkompetenz Systematik „Purpose“ Zukunftsbild der Welt Purpose (Beitrag des Unternehmens für eine bessere Welt) Strategie Mission (Kundenbezogener Auftrag des Unternehmens) Leitsätze (Grundsätze des Unternehmens) Abb. 2 ; Quelle: Greiner/Brosch (2020), S. 5 Vision (Zukunftsbild des Unternehmens) Werte (Verhalten von Mitarbeitern) • Familienunternehmen zeichnen sich durch eine langfristige Orientierung aus. Nicht der kurzfristige Gewinn, sondern die Weitergabe an die nächste Generation steht im Vordergrund. • Die Machtkonzentration bei der Familie ermöglicht klare und schnelle Entscheidungen im Sinne eines Purpose als Leit- planke. • Nichtökonomische Ziele (Wohltätigkeit, Reputation etc.) sind vielfach bestimmend. Dazu drei Beispiele: • Die Firma Vaude produziert Outdoor-Ausrüstung und postuliert: „Unser Verständnis von Unternehmertum ist am Gemeinwohl orientiert. Das bedeutet, dass wir durch unser Tun einen po- sitiven Beitrag zu einer lebenswerten Welt für Mensch und Umwelt leisten möchten.“21 • Die Firma Trumpf ist Weltmarktführer in der Lasertechnik und definiert ihre gesellschaftliche Verantwortung als oberste Richtschnur ihres Handelns: „Trumpf ist ein Familienunternehmen. Wir denken langfristig und handeln verantwortlich – aus Überzeugung. Und wir leben es vor: durch einen wertschätzenden Umgang mit unseren Mitarbeitern, Investitionen in die wichtige Ressource Bildung, die aktive Teilhabe an gesellschaftlichen und politischen Dia- lo gen sowie die gezielte Förderung von kulturellen und sozia- len Projekten, die einen Mehrwert für uns alle schaffen.“22 • Der Küchenspezialist Miele sieht die Werteorientierung als Fundament seines Daseins als Familienunternehmen: „Ver- antwortung gegenüber Mensch und Umwelt, Qualitäts- bewusstsein, Integrität und nicht zuletzt Kontinuität.“23 21 Altenburger/Schmidpeter (2018), S. 252. 22 Altenburger/Schmidpeter (2018), S. 8. 23 Altenburger/Schmidpeter (2018), S. 162. Da die Formalisierung von Strukturen, Prozessen und Tools in vielen Familienunternehmen – auch häufig größenbedingt – nicht so stark ausgeprägt ist wie in großen Publikums-AGs, ist die Purpose-Umsetzung sicher nicht immer konsistent. Da kann z.B. ein Firmenpatriarch durchaus „aus dem Bauch“ führen und fallweise Entscheidungen treffen – und dabei auf die Dauer Erfolg haben. Allerdings ist dies ein riskantes Unter- fangen. Wie die drei Beispiele illustrieren, ist Purpose in Familienunter- nehmen ein Konglomerat aus Familientradition, Unternehmens- werten, Nachhaltigkeitsstrategie etc. Das Purpose-Konzept würde hier helfen, die Konsistenz der unternehmerischen Gesamtstrategie zu bewerten – allerdings unter der Voraus- setzung, dass es unternehmensweit umgesetzt und gelebt wird. Was kann also ein Familienunternehmen von dem Purpose- Ansatz lernen? Ich sehe folgende drei wichtige Aspekte: • Purpose klar und konkret formulieren, • Purpose im Unternehmen flächendeckend mit geeigneten Prozessen und Tools umsetzen sowie • Purpose bei allen Stakeholdern des Unternehmens kommu- nizieren. Auf jeden Fall ist der Zusammenhang zwischen Purpose, Mis- sion, Vision, Strategie, Werten und Leitsätzen des Unter- nehmens (vgl. Abb. 2) in ein konsistentes System zu bringen. V. Auf die Umsetzung kommt es an Die praktische Umsetzung des Purpose-Gedankens wird viel- fach durch Performanceverbesserungserwartungen begleitet. Man will einen Motivationsschub der Mitarbeiter bewirken, der auch zur Steigerung der Profitabilität führt. FUS I SONDERAUSGABE/2022 17

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Gesellschafterkompetenz bereits durch die Interessenkompetenz berechtigt; es geht um ihre Interessen, denn sie tragen die Konsequenzen der Strategie. III. Empfehlungen für die Praxis Wir gehen nachfolgend die wichtigsten Fragestellungen durch, die im Diskurs über die Unternehmensstrategie zu klären sind. 1. Ist das Unternehmen in der Lage, seine strategische Entwicklung voranzutreiben? Bei der Erarbeitung einer Strategie geht es um die längerfris- tige Entwicklung des Unternehmens, und dafür braucht man Finanzmittel, Führungskräfte und Zeit. Das bedeutet, dass keine Gesellschafterkonflikte bestehen dürfen, dass die Übergabe des Vermögens an die nächste Generation gut vorbereitet ist und dass das Kreditrating bei den Banken stimmt. Wenn sich ein Unternehmen in einer Krise befindet, fehlen die erfor der- lichen Ressourcen für eine strategische Arbeit. Und dann be- darf es einer noch ganz wichtigen Voraussetzung: Die Gesell- schafter müssen ein hohes Vertrauen in die Geschäftsführung haben, das Vertrauen, dass es der Geschäftsführung wirklich um das Wohl des Unternehmens geht. In einem vertrauensvollen, immer wieder fortgesetzten Dialog zwischen Gesellschaftern und Geschäftsführung geht es um wenige, aber entscheidende Fragen: • Stimmt das Geschäftsmodell? • Stimmen die Ergebnisse und die daraus geleisteten Ausschüttungen? • Stimmt der Wachstumstrend? • Gegen welche Gefährdungen muss das Unternehmen gewappnet sein? 2. Worin besteht das Geschäftsmodell und wie kann es wachsen? Die Strategiearbeit setzt ein Verständnis des Geschäftsmodells voraus: Worin besteht der Kern der Leistung für den Kunden? Diese Frage zielt nicht auf die Einzigartigkeit eines Wett- bewerbsvorteils, denn solche Sonderstellungen sind letztlich selten. Daneben gibt es zahlreiche erfolgreiche Geschäfte, bei denen es genügt, gut zu sein. Man muss aber wissen, wofür der Kunde bezahlt und wovon dementsprechend das Unter- nehmen lebt. Oft sind das nicht einmal die großen Umsätze, sondern die Nebenleistungen (z.B. Reparaturservice, Ersatz- teile). Außerdem muss man wissen, welches die spezifischen Erfolgsfaktoren sind, um in dem Geschäft zuverlässig eine gute Leistung zu erbringen. Ein wichtiges Kriterium zur Beurteilung des Geschäftsmodells besteht zudem in der Frage, ob es genügend Stellhebel gibt, um sich durch Fokussierung auf bestimmte Kundengruppen und deren Qualitätsanforderungen von der Konkurrenz ab- zuheben. Wenn eine solche Differenzierung – wie in vielen Märkten – möglich ist, braucht man den Wettbewerb selbst mit deutlich größeren Anbietern nicht zu scheuen. Ein weiterer wichtiger Aspekt ist die Wachstumsrate einer Bran- che, in der das Unternehmen tätig ist. Nur in neuen Branchen finden sich hohe Wachstumsraten und oft liegt das Wachstum eines Unternehmens über dem Branchenwachstum im Inland. Fast jedes Unternehmen muss sich daher heute um die Erschlie ßung von Auslandsmärkten kümmern. Starkes Wachstum muss allerdings finanziert werden durch hohe einbehal tene Gewinne. Die Frage, welcher Kapitaleinsatz für einen bestimmten Umsatzzuwachs erforderlich ist, kann die Geschäftsführung beantworten oder sie kann sich die Antwort erarbeiten. Man muss sie nur danach fragen. 3. Ist das Geschäftsmodell langfristig tragfähig? Die entscheidende Kernfrage für die Strategieentwicklung lautet: Können wir das aktuelle Leistungsspektrum noch in 20 Jahren im Markt absetzen oder müssen wir uns früher oder später neu orientieren? Diese Grundsatzfrage kann nie ab- schließend geklärt werden, denn Umbrüche im Markt können oft nicht rechtzeitig vorhergesehen werden, sondern gesche- hen auch überraschend. Spätestens alle fünf Jahre sollte aber alles Wissen zu diesem Thema zusammengetragen und die Anpassungserfordernisse geprüft werden. Ob das Geschäftsmodell langfristig tragfähig ist, muss die Ge- schäftsführung plausibel darlegen. Für eine fundierte Einschät- zung gibt es einige Leitfragen, z.B.: Welche Wettbewerber sind in den letzten 20 Jahren neu in die Branche eingetreten, welche Wettbewerber sind ausgeschieden, wie groß waren diese und unter welchen Umständen sind sie ausgeschieden? Oder: Wer würde unser Unternehmen gerne kaufen? Welches Unternehmen würden wir gerne kaufen? Die Zahl neuer An- bieter in einem Geschäft wächst meist nur in den ersten zwei bis vier Jahrzehnten seines Bestehens; danach nimmt sie kontinuier lich ab. Es stellt sich dann die entscheidende Frage, ob das eigene Unternehmen schnell genug groß genug wird, um zu den überlebenden Anbietern zu gehören. Erweist sich das Geschäftsmodell als tragfähig, dann gibt es zwei Grundrichtungen der Strategie, die sich an der Frage entschei den, ob das Unternehmen ausreichende (nicht maxi- male) Gewinne erwirtschaftet. Wenn das nicht der Fall ist, muss der Gewinn auf das erforderliche Niveau gebracht werden; dies ist in aller Regel durch den Einsatz eines professionellen Manage ments möglich.Wenn das Unternehmen dagegen genü- gend Gewinn macht, dann ist die schwierigere Frage zu klären, welcher Teil des Gewinns investiert wird – und vor allem, wofür er investiert wird. 4. Wie viel muss das Unternehmen verdienen? Ein Unternehmen benötigt keine maximalen Gewinne, aber es sollte doch wenigstens über dem Durchschnitt verdienen. FUS I SONDERAUSGABE/2022 21

Gesellschafterkompetenz soll auf den Aspekt der Vermögenssicherung geachtet werden? Ein starkes Wachstum erfordert die Konzen tration von Finanz- mitteln zu seiner Finanzierung. Die Sicherung des Vermögens verlangt dagegen seine Teilung: seine Diversifikation entweder innerhalb des Unternehmens oder durch Finanzanlagen außer- halb des Unternehmens. Auch für das Entscheidungsdilemma zwischen Dynamik und Sicherheit gibt es keine absoluten Wahrheiten. Es muss immer wieder neu eine Lösung erarbeitet werden, die der jeweiligen Situation gerecht wird und den persönlichen Überzeugungen der Gesellschafter entspricht. Nur eines lässt sich mit Be- stimmtheit sagen: Stillstand ist keine Lösung. Die geschäft- lichen Aktivitäten müssen ständig erneuert werden, und das ist für ein wachsendes Unternehmen leichter. VI. Fazit Um eine Strategie beurteilen zu können, müssen die Ge- sellschafter selbst keine Strategie entwickeln können – sie müssen aber in der Lage sein, sinnvolle Fragen zu stellen. Das wird leichter, wenn die Strategiearbeit als kontinuierlicher Prozess verstanden wird, in dem immer wieder Teilprobleme näher beleuchtet oder neu entstandene Herausforderungen angepackt werden. Eine gute Strategie ist meistens ver- ständlich. Außerdem müssen die Gesellschafter lernen, nach welchen Kriterien eine Strategie zu beurteilen ist. Das kann man auch als Laie lernen, ebenso, wie das Kunst- und Literatur- freunde lernen: Man muss zwischen wahrer Kunst und Kitsch unterscheiden können. Prof. Dr. Hermut Kormann hat seit über vier Jahrzehnten Führungspositionen bei deutschen, international tätigen Unter­ nehmen inne. Er lehrt an der Universität Leipzig und an der Zeppelin­Universität, insbesondere Strategie und Governance von Familienunternehmen. KEYWORDS Strategie • Governance • Geschäftsmodell Bedeu tung kommt hierbei den persönlichen Überzeugungen der Gesellschafter zu, die festlegen, welche Art von Geschäf- ten nicht betrieben werden soll. In der Nachkriegszeit wurden vielfach Geschäfte mit Rüstungsgütern abgelehnt, heute wer- den möglicherweise Produkte und Prozesse ausgeklammert, die die Umwelt belasten. Eine entscheidende Weichenstellung bei der Strategiearbeit besteht zudem in der Klärung der Frage, ob der Aktivitäts- radius des Unternehmens auf das bestehende Geschäft zu beschrän ken ist oder ob er auf neue Aktivitäten oder Märkte ausgeweitet werden kann. Diese Entscheidung ist nicht primär eine Frage des Wollens, sondern zunächst eine sachliche Ana- lyse des Könnens: • Müssen alle Finanzmittel und Führungskapazitäten auf das angestammte Geschäft konzentriert werden? • Verdient das Unternehmen genug, um zusätzliche Geschäfte finanzieren zu können? Wenn das Unternehmen mehr verdient, als es für den Ausbau des angestammten Geschäfts braucht, dann muss es neue, lohnende Investitionsfelder suchen. Wenn dies dem Unterneh- men nicht gelingt, müssen die Gesellschafter sich dieser Aus- gabe als Finanzinvestoren selbst annehmen. 8. Welche Gefährdungen müssen unbedingt vermieden werden? Ein gutes Gedankenexperiment, um herauszufinden, welches die entscheidenden Elemente eines Geschäftsmodells sind, ist die von Fritz B. Simon vorgeschlagene Beantwortung der Leitfrage: Was würde zum Untergang des Geschäfts führen? Eine Variante dieser Frage besteht in der Überlegung, womit das Unternehmen seine Reputation am Markt verlieren würde. Diese Fragen sind in Abständen von einigen Jahren immer wieder neu zu reflektieren, denn zum einen gibt es keine ab- soluten Wahrheiten und zum anderen verändern sich die Geschäfts modelle im Laufe der Zeit. Außer dem Verfall des Geschäftsmodells gibt es aber auch wei- tere Gefährdungen, die zur dauerhaften Schädigung des Unterneh mens oder gar zu seinem Untergang führen könnten. Man sollte diese Gefährdungen schriftlich festhalten. Wenn man sich auf die wirklich existenzgefährdenden Vorgänge beschränkt, ist die Liste überschaubar. Von diesen möglichen Gefahren für die Existenz des Unternehmens sollte jede Unter- nehmensführung eine klare Vorstellung haben. Wenn sie hier- zu selbst noch keine feste Überzeugung gewonnen haben sollte, dann hilft die Frage danach, dass sie sich mit dieser Thematik beschäftigt. 9. Wie wird das Dilemma zwischen dynamischer Entwicklung und Sicherheit ausbalanciert? Eine Gesellschaftergruppe steht als Investorengemeinschaft – wie jeder Investor – vor der Abwägung: Wie stark soll auf die dynamische Entwicklung des Portfolios gesetzt und wie sehr FUS I SONDERAUSGABE/2022 23

Gesellschafterkompetenz Bausteine von Business Governance Organisation und Führung Steuerung Risiko- management internes Kontrollsystem Abb. 1; Quelle: Eigene Darstellung Häufig werden die Bausteine mit Ausnahme der Organisations- und Führungsstruktur zusammenfassend als „Überwachung“ bezeichnet. II. Baustein Organisation und Führung Um ein Unternehmen strategiebezogen lenken zu können, be- darf es einer Struktur, die eine Koordination im Hinblick auf das Unternehmensziel ermöglicht. Unter Organisation versteht man zweierlei: einerseits die Schaffung und Gestaltung dieser Struk- tur („Tätigkeit“), andererseits das Ergebnis des Gestaltungs- prozesses („Zustand“). Es geht darum, generelle Regelungen zu schaffen, die die Führung entlasten. Damit kommen Trans- parenz, Berechenbarkeit und Kontinuität in das betriebliche Geschehen. Diese Vorteile können in Nachteile umschlagen, wenn Organisation im Sinne genereller Regelungen zu weit getrie ben wird. Die Folgen sind dann Bürokratisierung und Inflexibi lität. Die Kunst besteht darin, zwischen generellen Regelun gen und Einzelfallentscheidungen ein Gleichgewicht zu schaffen. Hierbei sind Schnelligkeit des Marktgeschehens, Komplexität der Leistungserstellung und Unternehmensgröße von entscheidendem Einfluss. Der Führungsstil des Unterneh- mens ist ebenfalls ausschlaggebend. Familienunternehmen sind dabei eher unter- als überorganisiert. Viele Unternehmer schätzen die Gestaltungsfreiheit und wollen sich nicht durch straffe Organisation fesseln lassen. Man unterscheidet zwei Dimensionen von Organisation: • Die Aufbauorganisation legt im Sinne einer Aufgabenteilung deren Zuordnung zu Stellen, Abteilungen, Bereichen etc. fest. Es entsteht so die Organisationsstruktur. • Die Ablauforganisation definiert, wie Arbeitsprozesse im Zeitab- lauf stattfinden. Man spricht auch von Prozessorganisation. Organisationspläne, Stellenbeschreibungen und Ablaufpläne sollen diese Festlegungen dokumentieren. Die Ausrichtung der Organisationsstruktur kann nach Funktio- nen (funktionale Organisation), Produkten (divisionale Organi- sation) oder nach Regionen erfolgen. Auch Kombinationen sind möglich (z.B. Matrixorganisation). Ein zentraler Grundsatz in vielen erfolgreichen Familienunter- nehmen lautet: „schlank organisieren“5. Simon stellt hier fest, dass hohe Motivation und Identifikation der Mitarbeiter gewis- sermaßen als „Organisationsersatz“ dienen.6 Komplexe Orga- nisationsstrukturen, wie die Matrixorganisation, kommen sicher nur in großen Vielproduktunternehmen mit regionaler Vielfalt infrage. In mittelständischen Familienunternehmen herrscht zu Recht die funktionale Organisation vor. In Familienunternehmen ist von großer Bedeutung, dass man die Rollen und das Zusammenspiel der Träger der Business Governance, nämlich Unternehmensführung, Beirat (bzw. Auf- sichtsrat) und Gesellschaftsversammlung, klar regelt. Strategische Führung findet in der Organisation über diese Gremien statt. Die Gremien werden natürlich maßgeblich durch den Gesetzgeber je nach Rechtsform bestimmt. Innerhalb des Gesetzesrahmens bestimmen die Eigentümer individuell die Strukturen der Unternehmensführung und -lenkung. In Fami- lienunternehmen sind die Gremien das Bindeglied zur Familie und deren Governance; die Übergänge sind je nach Familien- struktur fließend. Wie eben angesprochen ist es wichtig, dass Organisations- und Führungskriterien, basierend auf den Werten der Unter- nehmensstruktur, in einer Unternehmensverfassung festgehal- ten werden. III. Baustein Steuerung Die Definition und Abgrenzung des Begriffs „Überwachung“ ist in der Betriebswirtschaftslehre besonders vielgestaltig. Wir stellen auf Soll-Ist-Vergleiche ab und definieren Unternehmens- überwachung wie folgt: „Unternehmerische Überwachung lässt sich ganz allgemein als Durchführung eines Vergleichs zwi- schen einem vorgefundenen Ist-Sachverhalt und einem Soll- Sachverhalt definieren.“7 Der Grundgedanke der Überwachung ist also die Schaffung eines „Regelkreises“ aus Zielfeststellung (Soll), Kontrolle (Ist) und Korrekturmaßnahmen. Controlling ist in erster Linie keine Überwachungsaufgabe („Der Controller ist kein Kontrolleur“), sondern ein Steuerungsprozess zur effizienten Erreichung der Unternehmensziele.8 An ihm sind sowohl Manager („Entscheider“) als auch Controller („Entschei- dungsunterstützer“) beteiligt. Im Mittelpunkt stehen der Unter- nehmensplan und seine Umsetzung. Hierbei haben Kontrollen im Sinne von Soll-Ist-Vergleichen eine eminent wichtige 5 Simon (2012), S. 35 f. 6 Ebenda. 7 Freidank/Stenering (2012), S. 11. 8 Vgl. Horváth et al. (2020). FUS I SONDERAUSGABE/2022 25

Das Vertrauen ist ein konstituierendes Element der Business Governance. Interne Kontrollen sind häufig nicht systematisch. Aufsichtsgremien werden vorrangig als Beratungsgremien ver- standen. Die Funktionswahrnehmung der internen Revision ist im Mit- telstand gering ausgeprägt. Der Entwicklungsstand des Risikomanagements ist in mittel- ständischen Familien gering. Diese Befunde dürfen allerdings nicht zum Schluss führen, dass es in mittelständischen Familienunternehmen insgesamt schlecht um die Business Governance steht. Gerade Hidden Champions mit einer schlanken Organisation führen sehr effek- tiv. Vertrauen und Motivation ergänzen formalisierte Systeme. Familienunternehmen sind so vielfältig und individuell, dass für sie keine einheitlichen Governance-Rezepte formuliert werden sollten. May10 ist zuzustimmen: „Im Familienunternehmen ist Corporate Governance ein Akt weiser Selbstbeschränkung. Sie macht Familienunternehmen besser. Und hilft ihnen, ihre Chan- cen auf ein Überleben in Familienbesitz zu erhöhen.“ Dennoch lassen sich einige allgemeine Empfehlungen zur Gestaltung von Business Governance geben: • Klären Sie, welche Einflussfaktoren (z.B. Unternehmens- und Familiengröße, Unternehmens- und Wertschöpfungsstruktur etc.) für Ihr Unternehmen maßgeblich sind! • Definieren Sie klar Aufgaben, Kompetenzen und Verantwor- tung für die Kernakteure Unternehmensführung, Beirat bzw. Aufsichtsrat und Gesellschafterversammlung! • Sorgen Sie dafür, dass die Funktionen der internen Kontrolle, internen Revision, des Risikomanagements und Controllings festgelegt und wahrgenommen werden! Sie müssen in Stel- lenbeschreibungen verankert werden. • Ein klarer, gut dokumentierter Organisationsplan hat die Gesamtstruktur des Unternehmens transparent zu machen! • Für die wichtigsten Entscheidungsprozesse sind die Pro- zessschritte zu definieren und ihr zeitlicher Ablauf mit Zu- ständigkeiten für die Entscheider zu bestimmen! • Alle Regelungen der Business Governance, die ein Gesamt- system ergeben müssen, sind in einem Pflichtenheft festzu- halten und im Unternehmen wie auch in der Familie zu kom- munizieren (Unternehmensverfassung). • Business- und Family Governance sind aufeinander abzu- stimmen! Achten Sie insbesondere auf die Entscheidungs-, Kontroll- und Informationsschnittstellen! Vermeiden Sie aber, eine Bürokratie zu installieren! Daher zum Schluss der weise Satz von Hennerkes: „‚Corporate Governance‘ in Familienunternehmen heißt ‚Unter nehmens- kultur‘.“11 10 May (2012), S. 142. 11 Hennerkes (2004), S. 265. WEITERFÜHRENDE LITERATURHINWEISE & LITERATURVERZEICHNIS Altenburger R./Schmidtpeter, R. (Hrsg.) (2018): CSR und Familienunternehmen. Gesellschaftliche Verantwortung im Spannungsfeld von Tradition und Innovation. Wiesbaden: Springer Gabler. Gesellschafterkompetenz Becher, W./Ulrich, P. (Hrsg.) (2015): BWL im Mittelstand. Grundlagen, Besonderheiten, Entwicklungen. Stuttgart: Kohlhammer. Felden, B./Hack, A. (2014): Management von Familienunternehmen. Besonderheiten – Handlungsfelder – Instrumente. Wiesbaden: Springer Gabler. Freidank, C.-C. (2012): Unternehmensüberwachung. Die Grundlagen betriebswirtschaft­ licher Kontrolle, Prüfung und Aufsicht. München: Franz Vahlen. Hennerkes, B.-H. (2004): Die Familie und ihr Unternehmen. Strategie, Liquidität, Kontrolle. Frankfurt/M., New York: Campus. Hommelhoff, P./Hopt, K. J./v. Werder A. (Hrsg.) (2009): Handbuch Corporate Governance, 2. Aufl., Köln: Dr. Otto Schmidt; Stuttgart: Schäfer­Poeschel. Horváth, P./Gleich, R./Seiter, M. (2020): Controlling, 14. Auflage. München: Vahlen. May, P. (2012): Erfolgsmodell Familienunternehmen. Das Strategie­Buch. Hamburg: Murmann Verlag. May, P./Bartels, P. (Hrsg.) (2017): Governance in Familienunternehmen. Das Handbuch für die erfolgreiche Führung von Familienunternehmen und Unternehmer­ familien. Köln: Bundesanzeiger Verlag. May. P (Gründer) (2021): Governance Kodex für Familienunternehmen, 4. Auflage. Bonn: Intes. Simon, H. (2012): Hidden Champions. Aufbruch nach Globalia. Frankfurt/M., New York: Campus. Ulrich, P. (2011): Corporate Governance in mittelständischen Familienunternehmen. Theorien, Feldstudien, Umsetzung. Wiesbaden: Gabler. Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Péter Horváth (†) war Gründer und Ehrenvorsitzender des Aufsichtsrats der Managementberatung Horváth sowie Lehrstuhlinhaber für Controlling an der Universität Stuttgart. Er verstarb am 4. Juni 2022 nach Einreichung dieses Beitrags. KEYWORDS Business Governance • interne Kontrolle • Risikomanagement FUS I SONDERAUSGABE/2022 27

Gesellschafterkompetenz Ordnungsrahmen und Schnittstellen Business Governance Family Governance = Ordnungsrahmen der Leitung und Überwachung des Unternehmens = Ordnungsrahmen der Familie an der Schnittstelle zum Unternehmen Das Unternehmen ist Ausgangspunkt und Ziel der Regelungen Die Familie ist Ausgangspunkt und Ziel der Regelungen Family Business Governance = Integrierter Ordnungsrahmen, der über Familie und Unternehmen hinweg Geltung beansprucht Abb. 1; Quelle: Eigene Darstellung ness Governance abdecken. Es kann sich im Sinne einer „Familienrichtlinie für [...]“ auch darauf beschränken, Teilbe- reiche zu regeln, die der Familie im konkreten Fall wichtig sind. Ein Beispiel wären hier Vorgaben zur Mitarbeit von Familien- mitgliedern im Unternehmen. Es ist jedoch keinesfalls zwin- gend, den Weg über eine sogenannte Familiencharta zu gehen. Es kann auch genügen, die wesentlichen konzeptionellen Fragen Schritt für Schritt gemeinsam mit der Familie zu erar- beiten und dies unmittelbar in die Formulierung rechtlich bin- dender Verträge einfließen zu lassen. Schließlich bleibt festzuhalten, dass nicht alles, was sich regeln lässt, auch geregelt werden muss. Im Sinne einer Konfliktprä- vention kann es manchmal klüger sein, gewisse Fragen nur in Form unverbindlicher Leitlinien zu regeln oder auch auf eine ANZEIGE Jetzt Bestellen!www.fus-magazin.de/abonnementZEITSCHRIFT FÜR FAMILIENUNTERNEHMEN UND STRATEGIEForschung und Praxis Hand in Hand. Alle zwei Monate im Abo.12. JAHRGANG I 4/2022 I 35,20 EUR WWW.FUS-MAGAZIN.DERECHT – MANAGEMENT – FAMILIE – STIFTUNG – VERMÖGENZEITSCHRIFT FÜR FAMILIENUNTERNEHMEN UND STRATEGIEAUFSÄTZEProf. Matthias Alber Andrea Seemann Gemeinnützige Stiftungen in der Vermögens- und UnternehmensnachfolgeProf. Dr. Tom A. Rüsen Monika Nadler Töchter in der Nachfolge – eine Option mit AnziehungskraftProf. Dr. Sven Cravotta Max Winkler Einflussnahme der Eigentümerfamilie auf Unternehmensentscheidungen GESPRÄCHProf. Rainer Kirchdörfer „Start-ups sind doch auch Familienunternehmen“PRAXISREPORTProf. Tom A. Rüsen Dr. Ruth Orenstrat Dr. Claudia Binz-Astrachan Gesellschafterkompetenz in Unternehmerfamilien 4 I 2022Foto: © saicle – stock.adobe.com

Gesellschafterkompetenz Regelungsinstrumente Traditionen und gelebte Werte der Familie Familiencharta • Gesellschaftervertrag, Rahmenvertrag Gruppe • Poolverträge • Geschäftsordnung Beirat • Geschäftsordnung Geschäftsführer • Compliance-Richtlinien • Firmenleitbilder, Code of Conduct etc. • Eheverträge • Testament/Erbverträge • Generalvollmachten • Betreuungsvollmachten • Pflichtteilsverzichte • Unternehmensübergabeverträge Aus- und Fortbildungsprogramme im Unternehmen • Gesellschafterschulung • Familientage Schiedsvertrags- und Mediationsregeln Abb. 2; Quelle: Eigene Darstellung Neubesetzung von Geschäftsführerpositionen z.B. mithilfe ei- nes externen Personalberaters ein verkehrsübliches Stellen- besetzungsverfahren durchführen, in dem das betreffende Fa- milienmitglied sich genau so bewerben muss wie externe Be- werber? Inhaltliche Vorgaben der Family Governance sollten also stets durch klare Verfahrensvorgaben ergänzt werden. Stillschweigen zu bewahren. Für die Geschäftsführer ergeben sich ähnlich weitreichende Verschwiegenheitsverpflichtungen bereits aus dem Gesetz. Ein solcher Konflikt der Familiencharta mit gesetzlichen und vertraglichen Vertraulichkeitsverpflichtun- gen darf nicht entstehen, sondern muss im Gesellschaftsver- trag entsprechend berücksichtigt werden. 5. Information der Familie Zu einem Familientag werden neben den Gesellschaftern häufig auch die Ehegatten, die langjährigen Lebenspartner, Kinder und sonstige Angehörige eingeladen. Neben den sozialen Veranstaltungen zur Pflege des familiären Miteinanders sollen bei solchen Gelegenheiten meist auch Kenntnisse über das Unternehmen, seine Strategie, seine Probleme etc. vermittelt werden. Damit sollen die Familienmitglieder, gerade auch die künftigen Gesellschafter, mehr über das Unternehmen erfah- ren, als auf der Unternehmens-Webseite steht und den ver- öffentlichten Jahresabschlussunterlagen zu entnehmen ist. Solche nichtöffentlichen Informationen unterliegen jedoch der Vertraulichkeitsverpflichtung nicht nur der Geschäftsführer, son- dern auch der Beiratsmitglieder und der Gesellschafter. Gesell- schaftsverträge enthalten vielfach Klauseln, wonach die Gesell- schafter und die Beiratsmitglieder verpflichtet sind, nicht nur über Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse, sondern über alle Angelegenheiten der Gesellschaft gegenüber Außen stehenden Dr. Michael Breyer ist Partner und Rechtsanwalt bei Hennerkes, Kirchdörfer & Lorz in Stuttgart. KEYWORDS Governance • Family Governance • Business Governance • Compliance FUS I SONDERAUSGABE/2022 31

Gesellschafterkompetenz Nachhaltigkeit auf Familienebene: Commitment, Kontrolle und Kontinuität Nachhaltigkeits- orientierung 3. 4. Lemniskaten-Modell Auswirkungen der Nachhaltig- keitsstrategie Status quo 5. 9. 2. FAMILIE UNTERNEHMEN 8. Familien- strategie 1. Bewusstmachen von Werten in der Unternehmerfamilie und im Gesellschafterkreis 10. 6. Reflexion Nachhaltigkeit auf Top-Management- Ebene: verinnerlichen und vermitteln Nachhaltigkeits- ziele entlang der Wertschöpfung 7. Nachhaltigkeit auf Unternehmensebene: Purpose, Professionalisierung und Partnerschaften Abb. 1; Quelle: Eigene Darstellung kate drückt auch die Polarität aus, die in einem Familienunter- nehmen ständig besteht: Familiensphäre und Unternehmens- sphäre, grafisch durch die linke und rechte Hälfte der liegen- den Acht verdeutlicht. Der Kreuzungspunkt der Lemniskate hat eine zentrale Bedeutung, da sich hier die beiden Sphären begegnen. Wichtige Entscheidungsträger werden die Personen- gruppen aus dem Top-Management sowie jene aus Aufsichtsrat und Beirat sein. Diese werden (sehr wahrscheinlich) sowohl aus Familienmitgliedern als auch aus Externen zusammenge- setzt sein. Dieses Zusammenwirken von einerseits der Familiensphäre und andererseits der Unternehmenssphäre wird im Schnittpunkt des Modells verdeutlicht. Dieser Kreuzungs- punkt markiert auch den Zeitpunkt, ab dem aus strategischen Überlegungen konkrete Entscheidungen mit Handlungskonse- quenzen werden. II. Zehn Schritte zur Nachhaltigkeit 1. Bewusstmachen von Werten in der Unternehmerfamilie und im Gesellschafterkreis Unternehmerfamilien pflegen ein generationsübergreifendes Denken und Planen. Damit ist bereits der Grundstein für eine Nachhaltigkeitsstrategie gelegt. Konkrete Anknüpfungspunkte dafür finden sich in den gelebten Wertevorstellungen und der Geisteshaltung der Familie. Am Beginn soll daher eine Aus- einandersetzung mit diesen immateriellen Werten der Familie stehen. Dabei muss es auch darum gehen, neben den schrift- lich fixierten Statuten, wie beispielsweise einer Familienverfas- sung, ebenso die nur mündlich überlieferten und auch die unausgesprochenen Wertevorstellungen zu betrachten. Es geht also um ein Bewusstmachen und Reflektieren von „ehernen“ Gesetzen und Idealen der Familie, die im Bedarfsfall analysiert und moduliert werden können. Eine Möglichkeit, sich mit den eigenen Werten auseinanderzusetzen und herauszufinden, welche Werte in der Familie lebendig sind, besteht darin, sich an etablierten Wertemodellen zu orientieren. Darauf aufbauend können Elemente definiert werden, die unmittelbar oder mittelbar das Fundament einer Nachhaltigkeitsstrategie bilden. Damit die Werte nicht abstrakt bleiben, sondern auch in der Praxis gelebt werden, empfiehlt es sich, sie mit beobacht baren Folgen und Handlungen zu verknüpfen. Ein gemeinsames Wertefundament kann wegweisend sowohl für die Familie als auch für das Unternehmen sein. Auf diesem grundlegenden Schritt werden alle weiteren aufbauen. Leitfragen können hier sein: • Welchen Werten fühlt sich die Familie verpflichtet? • Was ist der Familie wichtig? Was hält sie als Familie zusam- men? • Welche Vorgaben möchte sie sich als Familie und welche dem Unternehmen geben? • Woran erkennt sie, dass die Werte gelebt werden bzw. dass sich jemand nicht daran hält? 2. Familienstrategie Die Entwicklung eines solchen nachhaltigen Wertekanons kann und darf natürlich nicht unabhängig von der gesamten Gover- nance der Familie, ins besondere der Entwicklung einer kohä- renten Familienstrategie, gesehen oder gar parallel dazu ent- wickelt werden. Vielmehr sollte die Entwicklung einer Nachhal- tigkeitsstrategie integraler Bestandteil eines Familienstrategie- prozesses sein. Im WIFU- Praxisleitfaden „Familienstrate- FUS I SONDERAUSGABE/2022 33

• (E-)Magazin • Online • Events • NetzwerkEnabling Corporate Finance. Securing Wealth. Connecting People.byFinanzierung – Nachfolge – VermögenFoto: © metamorworks – stock.adobe.comwww.unternehmeredition.dePlattform UnternehmereditionJahresabo: 48 EUR (inkl. MwSt.) | www.unternehmeredition.de/abonnement

tig, zu fragen: Haben sich emergente Strategien entwickelt? Wie sind diese zu bewerten? Sollen sie weiterverfolgt oder angepasst werden? In dynamischen Zeiten können sich unter Umständen neue Faktoren ergeben haben, die es nun auch in der Nachhal- tigkeitsstrategie zu berücksichtigen gilt. III. Fazit Die Entwicklung von Gesellschafterkompetenz zur strategischen Verankerung nachhaltigen Wirtschaftens im Familienunterneh- men ist von großer Aktualität. Das beschriebene Modell gibt dabei eine Orientierung, um sich nicht in der Vielzahl der mög- lichen Ansätze zu verzetteln und gleichzeitig eine spezifisch auf das eigene Familienunternehmen fokussierte Nachhaltigkeits- strategie zu entwickeln. Das Lemniskaten-Modell soll als Anre- gung dienen. Es ist ein allgemeines Modell, welches für jedes Familienunternehmen einer spezifischen Ausgestaltung bedarf. Familienunternehmen variieren stark in Größe und Komplexität. So mag es also gewiss Aspekte des Modells geben, die für die eine oder andere Unternehmerfamilie mehr oder weniger adap- tierbar sind. Es ist deutlich geworden, dass die Unternehmer- familie eine entscheidende Rolle bei der Entwicklung einer Nach- haltigkeitsstrategie spielt. Die Werte der Unternehmerfamilie und ihre Familienstrategie prägen die Nachhaltigkeitsorientierung und damit letztlich die Nachhaltigkeitsstrategie des Unterneh- mens. Die intensive Auseinandersetzung mit Nachhaltigkeit in der Familie, im eigenen Unternehmen und darüber hinaus im Unternehmensumkreis entlang der Wertschöpfungskette ist von zentraler Bedeutung für die Zukunftsfähigkeit des Familienun- ternehmens. Eine erfolgreiche Nachhaltigkeitsstrategie ist für das eigene Unternehmen maßgeschneidert, geht die Heraus- forderungen mit langfristiger Perspektive gemeinsam mit Part- nerinnen und Partnern an, intensiviert die Beziehungen zu den internen und externen Anspruchsgruppen, steigert den Innova- tionsgrad, generiert Wettbewerbsvorteile, stärkt Reputation und Image des Unternehmens und macht sich schließlich bis in die finanzielle Performance hinein sichtbar. Hinweis: Dieser Aufsatz beruht auf dem WIFU-Praxisleitfaden „Die Dynamische Entwicklung einer Nachhaltigkeitsstrategie in Familien unternehmen. Ein Transformationsmodell für die Praxis“, der unter diesem Link abgerufen werden kann: https://www.wifu.de/bibliothek/die-dynamische-entwicklung- einer-nachhaltigkeitsstrategie-in-familienunternehmen/?display_ lng=de&type=plf&lng=de%20en&pdf=1&pg=1 LITERATURVERZEICHNIS Bansal, P./Song, H.-C. (2017): Similar But Not the Same: Differentiating Corporate Sustainability from Corporate Responsibility. In: Academy of Management Annals, 11(1), S. 105–149. Curado, C./Mota, A. (2021): A Systematic Literature Review on Sustainability in Family Firms. In: Sustainability, 13(7), S. 3824. Elkington, J. (1997): Cannibals with forks: The triple bottom line of 21st century business. Vancouver: New Society Publishers. Gesellschafterkompetenz Gerken, M./Hülsbeck, M. (2018): Auswahl und Einbindung familienexterner Geschäftsführer in Familienunternehmen. WIFU­Praxisleitfaden. Witten: WIFU. Ernst, R. A./Gerken, M./Hack, A./Hülsbeck, M. (2022a): SMES’ reluctance to embrace corporate sustainability: The effect of stakeholder pressure on self­determination and the role of social proximity. In: Journal of Cleaner Production. Online First. Ernst, R. A./Gerken, M./Hack, A./Hülsbeck, M. (2022b): Family firms as agents of sustainable development: A normative perspective. In: Technological Forecasting and Social Change, 174. Online First. Hülsbeck, M./Hack, A./Gerken, M./Ernst, R. A. (2020): Nachhaltigkeit in Familienunternehmen. Kostenfaktor, Innovationstreiber oder unternehmerische Verantwortung? WIFU­Studie. Witten: WIFU. Le Breton-Miller, I./Miller, D. (2016): Family firms and practices of sustainability: A contingency view. In: Journal of Family Business Strategy, 7(1), S. 26–33. Rüsen, T. A./v. Schlippe, A./Groth, T. (2019): Familienstrategieentwicklung in Unternehmerfamilien. Inhalt und Formen von Family Governance und Familienmanagement­ systemen. WIFU­Praxisleitfaden. Witten: WIFU. Schwartz, S. H. (1992): Universals in the Content and Structure of Values: Theoretical Advances and Empirical Tests in 20 Countries. In: Advances in Experimental Social Psychology, 25. Amsterdam: Elsevier, S. 1–65. Sharma, P./Sharma, S. (2021): Pioneering business families committed to sustainable development. In: Pioneering Family Firms’ Sustainable Development Strategies. Cheltenham: Edward Elgar, S. 2–50. Prof. Dr. Marcel Hülsbeck ist Inhaber des Stiftungslehrstuhls Management von Familienunternehmen am Wittener Institut für Familienunternehmen (WIFU) an der Universität Witten/Herdecke. Seine Forschungsschwerpunkte sind strategische Prozesse, Corporate Governance, Entrepreneurship, Corporate Sustainability. Andrea Gerlitz ist Promotionsstipendiatin am Wittener Institut für Familienunternehmen (WIFU) an der Universität Witten/Herdecke. Sie forscht unter der Supervision von Prof. Dr. Marcel Hülsbeck zu dem Thema „Corporate Sustainability in Family Firms“. Darüber hinaus wirkt Andrea Gerlitz beim WIFU­Arbeitskreis „Nachhaltigkeit in Familienunternehmen“ mit. KEYWORDS Nachhaltigkeit • Nachhaltigkeitsstrategie • Nachhaltigkeitsorientierung • Nachhaltigkeitsziele FUS I SONDERAUSGABE/2022 37

Gesellschafterkompetenz Entscheidungssphären im Rahmen der Unternehmensnachfolge … … in die Gesellschafteranteile (= Vermögensverteilung) … in die Geschäftsführung (= Führungsverteilung) Entscheidungsalternativen Entscheidungsalternativen Dynastische Vererbung/ Verschenkung Egalitäre Vererbung/ Nichtfamilienmitglieder (Mitarbeiter/Dritte/ Verschenkung Fremdgesellschafter …) Familienmitglieder in die Geschäftsführung Nichtfamilienmitglieder in die Geschäftsführung Kronprin- zenmodell (100% auf einen Nach- folger) Stammes- modell (nur ein Nach- folger pro Stamm) Gleich- mäßige egalitäre Über- tragung Ungleich- mäßige egalitäre Über- tragung Vererbung/ Schenkung Verkauf Die Problemstellungen sind dieselben … Wer entscheidet über die Auswahl? Gesellschafter- versammlung Beirat Benennungs- Sonderrechte rechte auf Geschäfts- führung Schutz der Minderheits- gesellschafter durch • Informationsrechte • Mitspracherechte • Mindestdividenden Sicherstellung der Handlungsfähigkeit der Geschäftsführung Kompetenzverteilung auf Geschäftsführung, Beirat und Gesellschafterversammlung im Gesellschaftervertrag Grundlagengeschäft Operatives Geschäft ! Wer entscheidet über die Geschäfte? Abb. 1: Vermögens- und Führungsnachfolge im Überblick; Quelle: Hennerkes/Kirchdörfer (2015), S. 173. Unternehmens über Generationen garantiert. Sie sind Gestal- tungsinstrumente in Sonderkonstellationen, die nach unserer Beobachtung mittlerweile eher zu häufig als zu selten in Betracht gezogen werden. Auch Stiftungen benötigen unternehmerisch denkende Men- schen, die als Stiftungsorgane die Eigentümerverantwortung der Stiftung kompetent wahrnehmen und die Geschäftsfüh- rung des Unternehmens effektiv überwachen und notfalls aus- tauschen können. Fehlen solche Menschen, kann es sich im Rahmen der Nachfolgeplanung auch anbieten, über einen Ver- kauf des Unternehmens an einen verantwortungsvollen neuen Eigentümer nachzudenken. Stiftungen sind grundsätzlich auf Ewigkeit angelegt. Soweit eine Auflösung in Betracht kommt, bedarf sie immer auch der Zustimmung der Stiftungsauf- FUS I SONDERAUSGABE/2022 39

Gesellschafterkompetenz einen „Notfallfonds“ verfügbar zu haben. Dieser ist zwar der betrieblichen Risikosphäre entzogen, kann dem Unterneh- men im Ernstfall aber auch wieder gezielt zugeführt werden. Regu latorische Probleme können sich bei der Neuauflage solcher Family Offices jedoch ergeben, wenn zum Gesell- schafterkreis bereits Cousinen und Cousins zweiten Grades gehören.5 III. Frühzeitige Nachfolgeplanung Die gründliche Erarbeitung eines Nachfolgekonzepts ein- schließlich der Aufarbeitung aller steuerlich relevanten Fragen braucht Zeit. Erste Vorstellungen können zwar rasch entwickelt werden. Man sollte sich aber die Zeit nehmen, sie in Ruhe in „Kopf und Bauch“ bei sich und in der Familie reifen zu lassen. Vielfach wird man auch Zeit brauchen, um stufenweise vorge- hen zu können (z.B. gestaffelte Übertragung von Geschäftsan- teilen, schrittweiser Aufbau des Juniors in der Geschäftsfüh- rung). Und schließlich sollte auch noch Zeit bleiben, um erste Weichenstellungen, die sich in der gelebten Praxis als falsch erwiesen haben, korrigieren zu können. Die Ergebnisse der konzeptionellen Überlegungen können bei Bedarf schriftlich in einer Familiencharta zusammengefasst werden. Solche Familienchartas, die oft auch als „Familienver- fassung“ bezeichnet werden, sind inzwischen weitverbreitet. Zwingend sind sie aber nicht.6 Die zivilrechtliche Umsetzung (Schenkungsverträge, Testamen- te, Gesellschaftsverträge, Poolverträge, Verträge zur Restruk- turierung des Unternehmens etc.) schließlich lässt sich bei einem gründlich erarbeiteten Nachfolgekonzept oft zügig bewerkstelligen.7 Vielfach bedarf es aber erst noch der steuer- lichen Vorbereitung und Abstimmung mit dem Finanzamt in Form einer verbindlichen Auskunft (z.B. Restrukturierungen, Optimierung des Verwaltungsvermögens, Übertragung unter Vorbehalt des Nießbrauchs). Das kann, abhängig vom jeweili- gen Bundesland bzw. Finanzamt und der Schwierigkeit der auf- geworfenen Fragen, viele Monate beanspruchen. In Sonder- konstellationen kann auch noch die Abstimmung mit weiteren Behörden erforderlich werden. Zu denken ist beispielsweise an die Stiftungsaufsicht bei der Gründung von Stiftungen oder die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) und die Europäische Zentralbank, wenn sich in der Unternehmens- gruppe ein Kreditinstitut befinden sollte. Es sollte daher möglichst frühzeitig mit der Nachfolgeplanung begonnen werden, ohne dass Handlungsdruck besteht. IV. Offen kommunizierte Nachfolgeplanung In aller Regel empfiehlt es sich, die Familie frühzeitig in die Nachfolgeplanungen einzubeziehen. Erfolgreiche Nachfolge- lösungen erfordern Konsens in der Familie, und diesen erzielt man eher dadurch, dass man die Betroffenen einbezieht, als sie mit vollendeten Tatsachen zu konfrontieren. Besteht Klar- heit in der Familie, wie die Zukunft aussieht, sollte dies auch im Unternehmen und bei wichtigen Geschäftspartnern, insbe- sondere Banken, kommuniziert werden. V. Schutz vor Fehleinschätzungen bei der Nachfolgeplanung Es gibt geradezu typische Fehleinschätzungen, die in der menschlichen Psyche begründet sind. Die Fachwelt spricht hier von „Psychological Biases“ oder „Cognitive Biases“, wie sie der israelisch-amerikanische Psychologe und Wirt- schaftsnobelpreisträger Daniel Kahnemann in seinem Buch „Schnelles Denken, langsames Denken“ (Thinking, Fast and Slow) anschaulich und unterhaltsam beschrieben hat. Vermei- den lassen sie sich nicht – man kann sich aber ihrer Existenz bewusst und entsprechend auf der Hut sein. Bei Unternehmern ist etwa gerne die Einschätzung zu beobach- ten, dass sie sich selbst für unentbehrlich halten („Unersetzlich- keitssyndrom“). Dies ist verständlich, da schließlich der Erfolg der vergangenen Jahrzehnte eng mit der Person des Unterneh- mers verknüpft war und damit die Prognose naheliegt, dass es auch in Zukunft nicht ohne einen weitergehen kann. Menschlich nachvollziehbar, aber nicht unbedingt ratsam ist auch die Nei- gung, alles zu tun, damit das so bleibt, und den Nachfolgern über das eigene Ableben hinaus detaillierte Vorgaben zur Füh- rung des Unternehmens machen zu wollen. Eine weitere Fehl- einschätzung liegt in der Beurteilung der eigenen Kinder: Ent- weder man sieht sie zu positiv oder unterschätzt ihre Fähigkei- ten. Auch das ist nur allzu menschlich. Um diese Fehleinschät- zungen in den Griff zu bekommen, kann es sich empfehlen, früh- zeitig auf die Hilfe Dritter zurückzugreifen. Dies kann verschie- dene Formen annehmen. Ein mit dem Unternehmen und der Familie vertrauter Beirat, der u.a. über die Besetzung der Geschäftsführung entscheidet und dem Unternehmer damit auch eine gewisse Last abnehmen kann, ist hier nur eine Möglichkeit. 5 BaFin, Merkblatt Family Offices, Stand Juli 2018. 6 Umfassend zum Stellenwert der Familiencharta Kirchdörfer/Breyer (2014), S. 13 ff.; Baus (2016), S. 135–150. 7 Für einen Überblick zu den verschiedenen rechtlichen Dokumenten und ihrer wech- selseitigen Verzahnung Kirchdörfer/Breyer (2014), S. 20–25; Breyer (2015), S. 152. VI. Ausgleich von Unternehmens­ und Familieninteresse Das Streben nach „praktischer Konkordanz“ bezeichnet einen Grundpfeiler des deutschen Verfassungsrechts. Demnach FUS I SONDERAUSGABE/2022 41

Gesellschafterkompetenz Das psychosoziale „Starter-Kit“ des Gesellschafters Eine Facette der Gesellschafterkompetenz Von Dr. Juliane Wegner und Dr. Fynn-Willem Lohe ABSTRACT Familienunternehmen müssen immer größere Kreise von Anteilseignern zusammenhalten. Die Gesellschafterkompetenz spielt dabei eine entscheidende Rolle. Sie ist auch geprägt von psychologischem Feingespür. I. Einleitung Familienunternehmen sehen sich mit der Herausforderung konfrontiert, die bestehende Heterogenität der Familienmitglie- der im Gesellschafterkreis, in erster Linie vor dem Hintergrund unterschiedlicher persönlicher sowie beruflicher Lebensläufe, zu überbrücken. Maßnahmen der Gesellschafterkompetenzent- wicklung stellen daher ein prädestiniertes Vehikel dar, die Ent- scheidungsfähigkeit der Eigentümergemeinschaft zu f ördern.1 Da insbesondere die weichen Faktoren des täglichen Miteinan- ders den Zusammenhalt der Unternehmerfamilie fördern und somit einen entscheidenden Beitrag zur Kontinuitätssicherung des Unternehmens leisten können, thematisiert der vorliegende Beitrag das psychologische Gesellschafterkompetenzwissen. Es werden vier Fähigkeiten vorgestellt, für die aktuell tätige und zukünftige Gesellschafter sensibilisiert werden sollten, damit sie eine aktive Eigentümerfunktion übernehmen können. II. Die Rolle der Gesellschafterkompetenz Gesellschafter sind wirtschaftliche Anteilseigner des Familien- unternehmens, was ihnen weitreichenden Entscheidungsein- fluss gewährt; gleichzeitig bedarf es allerdings spezifischer Kompetenzen, um die Zukunft des Unternehmens aktiv und langfristig mitzugestalten sowie weiterzuentwickeln. Dies gilt insbesondere für große, über die Zeit gewachsene Gesellschaf- terkreise, wie bei langlebigen2 Familienunternehmen. Dort kommt es allein durch die Anzahl der Mitglieder zu einer aus- geprägten Heterogenität mit der Folge zunehmender Komplexi- tät bzgl. unterschiedlicher Entscheidungsmotivationen.3 Dementsprechend sind Familienunternehmen als Unterneh- menstypus einzigartig hinsichtlich ihrer internen Ressourcen, auch unter dem Begriff der Familiness4 bekannt. Darunter ist zu verstehen, dass die Familie eine gewisse Ambivalenz im Hinblick auf die dem Unternehmen zur Verfügung stehenden 1 Vgl. Horvath/Kirchdörfer/v. Schlippe (2015). 2 Wir sprechen von langlebigen Familienunternehmen ab dem Übergang zur dritten Generation. 3 Vgl. Rüsen/v. Schlippe/Groth (2014) und Horvath/Kirchdörfer/v. Schlippe (2015). 4 Vgl. Habbershon/Williams (1999). Ressourcen erlebt: Sie kann durch Dimensionen wie gegen- seitiges Vertrauen, großes Commitment zum Unternehmen sowie Zusammenhalt über mehrere Generationen einen Wett- bewerbsvorteil verschaffen – jedoch kann sie umgekehrt auch eine „dunkle Seite“ darstellen, im Sinne eines familieninduzier- ten Risikos, welches speziell bei wachsenden Konflikten und Missverständnissen zum Ausdruck kommt. Was zuvor noch einen Vorteil darstellte, kann hier zum Untergang der Familie sowie des Unternehmens führen.5 Ein Grund für die bestehende Heterogenität im Gesellschafter- kreis liegt darin, dass sich die Eigentümergemeinschaft aus Familienmitgliedern zusammensetzt, die jeweils unterschied- liche Gesellschafterrollen innehaben können. Neben den akti- ven Familiengesellschaftern, die operativ im Unternehmen tätig sind, lassen sich zusätzlich die Gruppe der nicht-operativ täti- gen Gesellschafter6 sowie Gesellschafter mit einer steuernden Rolle in Aufsichts- und Kontrollgremien benennen. Dadurch unterscheiden sich Gesellschafter oftmals nicht nur in ihren beruflichen Betätigungsfeldern und Kompetenzen, sondern weisen teils auch eine unterschiedliche Nähe zum eigenen Familienunternehmen auf.7 Somit fehlt es oftmals vor allem 5 Vgl. Großmann (2014), S. 94 ff. 6 Wir verstehen darunter Familiengesellschafter, die lediglich eine Anteilseignerrolle übernehmen. 7 S. ausführlicher zu den verschiedenen Gesellschafterrollen Rüsen et al. (2013), S. 15, sowie Horvath et al. (2015), S. 4. INHALT I. Einleitung II. Die Rolle der Gesellschafterkompetenz III. Die Herausforderungen des „Gesellschafterdaseins“ IV. Psychosoziales „Starter­Kit“ als Voraussetzung für die Gesellschaftertätigkeit 1. Commitment 2. Wissen um Systemdynamiken 3. Teamplayer 4. Konfliktfähigkeit V. Fazit FUS I SONDERAUSGABE/2022 43

Gesellschafterkompetenz 1. Commitment gegenüber dem Unternehmen Die besondere Konstellation des Gesellschafterkreises, beste- hend aus aktiven und inaktiven Gesellschaftern, erfordert von allen Beteiligten ein Bewusstsein für die Verantwortung gegen- über dem Unternehmen, die ihnen in ihrer Rolle zuteilwird. Dies scheint auf den ersten Blick selbstverständlich – jedoch spie- geln die mannigfaltigen Gesellschafterkonflikte in der Praxis ein anderes Bild wider. Insbesondere der Umstand, dass die Eigentümer aufgrund ihrer unterschiedlichen persönlichen Hin- tergründe eine große Nähe resp. Distanz zum Unternehmen aufweisen, führt zu einem unterschiedlich stark ausgeprägten Commitment unter den Beteiligten und begünstigt somit die Entstehung von Konfliktlinien. Auf diese Weise tritt dann umso mehr der Dienst für die Sache, nämlich die Sicherung des unternehmerischen Handelns, zugunsten persönlicher Interes- sen in den Hintergrund. Dies birgt jedoch die Gefahr für prob- lematische Familienbeziehungen und Fehlentscheidungen, die die Existenz des Unternehmens nachhaltig gefährden können. Insbesondere stille Teilhaber sollten sich bemühen, eine emo- tionale Nähe zum Unternehmen aufzubauen, um ihre Rolle als Eigentümer mit einer professionellen Bereitschaft zur strate- gischen Entwicklung des Unternehmens zu erfüllen.13 Ein sol- ches Commitment könnte sich darin zeigen, den Zusammen- halt der Familie durch regelmäßige Teilnahmen an identitäts- stiftenden Veranstaltungen zu fördern und sich als ein Teil des Ganzen zu betrachten. Gleichzeitig bedarf es eines hohen Grades intrinsischer Motivation, sich den strukturellen Anfor- derungen im Gesellschafterkreis konstruktiv zu stellen und den Entscheidungsprozess unabhängig der eigenen Interessen lage verantwortungsvoll mitzugestalten, sprich: die eigenen Motive im Sinne des Unternehmens hinten anzustellen. 2. Wissen um Systemdynamiken im Familienunternehmen Familienunternehmen stellen ein Sozialsystem dar, welches durch die strukturelle Kopplung der Systeme Familie, Unter- nehmen und Gesellschafterkreis komplexe Dynamiken auf- weist.14 Damit die Gemeinschaft von Eigentümern verantwor- tungsvoll zugunsten des Unternehmens entscheiden kann, soll- ten die Beteiligten ein Verständnis für diese Eigenheiten entwi- ckeln, die über betriebswirtschaftliche Aspekte hinausreichen. Die Verflechtung der drei verschiedenen Systeme wurde anhand des Dreikreismodells hervorragend veranschaulicht.15 Dabei steht jeder Kreis für ein Sozialsystem, welches wiederum einer eigenen Funktionslogik folgt: Während es im Unternehmen vor- nehmlich darum geht, wirtschaftliche Entscheidungen zu tref- fen, ist das Familiensystem darauf ausgelegt, Bindung unter den einzelnen Mitgliedern zu erzeugen. Dies vollzieht sich in erster Linie durch eine personenorientierte Kommunikation, in der die Person in ihrer Gesamtheit berücksichtigt wird. Gemeint ist damit, dass sich eine Person in jeder vorstellbaren Gefühls- lage an ihre Familie wenden kann und dort Gehör für ihre Situ- ation finden wird. Im System des Gesellschafterkreises findet dagegen eine spezifische Form der Entscheidungskommuni- kation statt, die sich primär auf formelle Rechtsnormen beruft.16 Familienunternehmen sind angehalten, diese drei Logiken in Einklang zu bringen. Es liegt auf der Hand, dass es sich dabei um ein anspruchsvolles Unterfangen handelt, und dementspre- chend scheint es nachvollziehbar, dass die Betroffenen mit einer gesteigerten Komplexität konfrontiert sind, die zu zahl- reichen Paradoxien und Ambivalenzen führt. Gesellschafter eines Familienunternehmens benötigen ein Bewusstsein dahin gehend, dass insbesondere der Gesellschafterkreis durch sei- ne heterogene Besetzung eine besonders anfällige Konflikt- arena darstellt. Die divergenten Motivationen und persönlichen Hintergründe können zu vielfachen Kommunikationsdisparitä- ten führen und sogenannte schräge Anschlüsse bilden.17 Das Wissen darüber, wie diese Paradoxien im Zusammenwirken der verschiedenen Logiken entstehen, kann dazu befähigen, verstärkt die unterschiedlichen Kommunikationsmuster im Gesellschafterkreis zu beobachten und in angespannten Situ- ationen negative persönliche Zuschreibungen zu vermeiden, was sich im Ergebnis positiv auf den Zusammenhalt der Fami- lie und deren Entscheidungsfähigkeit auswirkt. 3. Teamfähigkeit Eigentümer von Familienunternehmen sollten im Zuge ihrer Gesellschafterkompetenzentwicklung zusätzlich ihre Team- fähigkeit weiterentwickeln, um auf asymmetrische Kompetenz- verteilung angemessen reagieren zu können; es sollte vor allem darum gehen, fehlende betriebswirtschaftliche Kenntnisse nicht zwangsläufig als Nachteil zu betrachten, sondern sich statt- dessen die bereits vorhandenen vielfältigen Fähigkeiten und 13 Vgl. Rüsen et al. (2014), S. 105 f. 14 Vgl. Wimmer et al. (2005). 15 Vgl. Tagiuri/Davis (1996). 16 Vgl. v. Schlippe (2014). 17 Vgl. v. Schlippe (2014). FUS I SONDERAUSGABE/2022 45

Gesellschafterkompetenz V. Fazit Gesellschafterfamilien sehen sich in der Regel mit einer doppel ten Herausforderung konfrontiert: Sie müssen den Familien zu- sammenhalt wahren, um letztlich entscheidungs fähig zu bleiben, wohingegen die Dualität zwischen finanziellen Zielen und persön- lich motivierten Interessen zu Ziel- und Interessenkonflikten füh- ren kann. Um die Beziehungen innerhalb des Gesellschafterkrei- ses langfristig zu stärken, können vor allem die vier vorgestellten psychosozialen Kompetenzen unseres „Starter-Kits“ einen kon- zeptionellen Rahmen für das psychologische Anforderungsprofil eines Gesellschafters bilden. Im Hinblick auf die Frage, wie diese psychologischen Fertigkeiten in der Praxis vermittelt werden kön- nen, möchten wir abschließend drei konkrete Ideen für die inhalt- liche Gestaltung von Qualifizierungsprogrammen zur Gesellschaf- terkompetenzentwicklung einbringen. Damit das Bewusstsein gegenwärtiger und vor allem zukünftiger Gesellschafter für die komplexen Anforderungen an die Eigentümerrolle geschärft wird, erachten wir eine Einführung in grundlegende Gesprächstechni- ken als besonders förderlich. Darüber hinaus kann eine gezielte Weiterbildung zum Prozess- oder auch Konfliktmoderator dazu dienen, dass Gesellschafter die Rolle des wachsamen Beobach- ters einnehmen und somit Kommunikationsprozesse innerhalb des Gesellschafterkreises positiv mitsteuern können. LITERATURVERZEICHNIS Ellebracht, H./Lenz, G./Osterhold, G. (2011): Systemische Organisations­ und Unternehmensberatung, 4. Auflage. Wiesbaden: Gabler. EQUA-Stiftung (Hrsg.) (2011): Gesellschafterkompetenz. Die Verantwortung der Eigentümer von Familienunternehmen. EQUA­Schriftenreihe 10/2011. Bonn: Unternehmer Medien. Gómez-Mejía, L. R./Haynes, K. T./Núñez-Nickel, M./Jacobson, K. J. L./Moyano-Fuentes, J. (2007): Socioemotional Wealth and Business Risks in Family­controlled Firms: Evidence from Spanish Olive Oil Mills. In: Administrative Science Quarterly, 52(1), S. 106–137. Groth, T./v. Schlippe, A. (2011): Gesellschafterkompetenz als Systemkompetenz. In: EQUA­Stiftung (Hrsg.): Gesellschafterkompetenz. Bonn: Unternehmer Medien, S. 9–24. Großmann, S. (2014): Konflikte und Krisen in Familienunternehmen. Wittener Schriften zu Familienunternehmen, Band 14. Göttingen: V&R unipress. Habbershon, T. G./Williams, M. L. (1999): A Resource­Based Framework for Assessing the Strategic Advantages of Family Firms. In: Family Business Review, 12(1), S. 1–25. Horvath, P./Kirchdörfer, R./v. Schlippe (2015): Gesellschafterkompetenz – der gut informierte Gesellschafter. In: FuS – Zeitschrift für Familienunternehmen und Strategie, 5(1), S. 3–6. Kets de Vries, M. F. R. (1993): The dynamics of family controlled firms: The good and the bad news. In: Organizational Dynamics, 21(3), S. 59–71. Kormann, H. (2011): Gesellschafter und die Strategiearbeit: Die Aufgaben der Gesell­ schafter. In: EQUA­Stiftung (Hrsg.): Gesellschafterkompetenz. Bonn: Unternehmer Medien, S. 34–47. Rüsen, T./Vöpel, N./Calabró, A./Müller, C. (2013): Eigentum verpflichtet – über Generationen. Studie zur Gesell­ schafterkompetenz in Familienunternehmen. Herausgegeben von WIFU und PwC. Rüsen, T. A./v. Schlippe, A./Groth, T. (2014): Gesellschafterkompetenz in Familienunternehmen. Über gezielte Aus­ und Weiterbildungsprogramme in Unternehmerfamilien. In: FuS – Zeitschrift für Familienunternehmen und Strategie, 4(3), S. 101–108. Schiersmann, C./Thiel, H.-U. (2009): Organisationsentwicklung. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften. v. Schlippe, A. (2014): Das kommt in den besten Familien vor. Stuttgart: Concordia. Simon, F. B. (2011): Die Familie des Familienunternehmens. In: Familiendynamik, 26(4), S. 359–377. Tagiuri, R./Davis, J. A. (1996): Bivalent Attributes of the Family Firm. In: Family Business Review, 9(2), S. 199–208. Wimmer, R./Domayer, E./Oswald, M./Vater, G. (2005): Familienunternehmen – Auslaufmodell oder Erfolgstyp? 2. Auflage. Wiesbaden: Gabler. Dr. Juliane Wegner ist Mediatorin und Organisationsberaterin. Gegenwärtig ist sie als Expertin für Strategie, Innovation und Transformation im Stab für Unternehmensentwicklung bei der AOK Nordwest tätig. Dr. Fynn-Willem Lohe ist Senior Research Fellow des WIFU. Hauptberuflich arbeitet er als Referent beim Bundesverband der Deutschen Gießerei­Industrie (BDG) sowie als Geschäftsführer der European Foundry Association (CAEF). KEYWORDS Psychologie • psychosoziale Kompetenzen • Konfliktfähigkeit FUS I SONDERAUSGABE/2022 47

nehmensweit nutzbar zu machen. Hierzu gehört auch die Digi- talisierung von Kommunikationskanälen, um beispielsweise eine direkte Kundenkommunikation und Interaktion zu ermög- lichen. Daher konzentriert sich Digitalization nicht nur auf Kosten einsparungen, sondern umfasst auch Prozessoptimie- rungen, die das Kundenerlebnis verbessern können5. Nach Kammerlander et al. (2020) fokussiert diese Phase inhaltlich im We sentlichen die Schnittstellendigitalisierung, also die zen- tralen Knotenpunkte zwischen den internen und externen Stake holdern des Unternehmens. Die Digital Transformation ist die am weitesten reichende Phase und beschreibt einen unternehmensweiten Wandel, der die ganzheitliche Verände- rung und ggf. Innovation des Geschäftsmodells zum Inhalt hat6. In dieser Phase liegt der Fokus weniger auf der Frage, wie digitale Technologien genutzt werden können, um das Bestehende zu optimieren oder zu ergänzen, sondern darauf, wie durch diese Kundenprobleme gelöst und langfristige Wett- bewerbsvorteile geschaffen werden können. In dieser Phase ist ggf. eine deutliche Rekonfiguration des Unternehmens- kerns notwendig (z.B. vom Hersteller zum digitalen Service Provider). II. Der digitale Reifegrad des (Familien­) Unternehmens Vor dem Hintergrund der genannten Stufen wird es für Unter- nehmen interessant, den bestehenden Grad der Digitalisie- rung einordnen zu können, um dann weitere Potenziale und Handlungsbedarfe abzuleiten. Hierfür bietet die betriebswirt- schaftliche Forschung sogenannte Reifegradmodelle (englisch: „Maturity Models“) an. Diese sind unternehmerische Werk- zeuge, die vielfach in der strategischen Weiterentwicklung von Organisationen zum Einsatz kommen. Sie kategorisieren typi- sche Entwicklungsstufen von Unternehmen und verbin den diese mit einem idealtypischen Entwicklungspfad sowie kon- kreten Entwicklungsschritten, um eine definierte Reife zu errei- chen7. Durch die Integration dieses Ansatzes in die Erforschung von Digitalisierung wurden in den vergangenen Jahren eine Reihe so- genannter digitaler Reifegradmodelle entwickelt8. Diese thema- tisieren insbesondere die wesentlichen Treiber sowie Bereiche der Digitalisierung in Unternehmen9 und konnten als valide Ansät ze zur Bewertung des Status quo untermauert werden. Westerman/Bonnet/McAfee (2014) demonstrieren z.B., dass Unternehmen mit einem höheren digitalen Reifegrad eine bes- sere Unternehmensleistung erzielen. Demgegenüber besteht die Gefahr, dass Unternehmen mit weniger vorangeschritte- nem digitalen Reifegrad den Anschluss verlieren. Kane/Palmer/ Phillips (2017) zeigen hier, dass gerade besonders in ihrer Rei- fe fortgeschrittene Unternehmen noch größere digitale Inves- titionen planen und dadurch ihren Vorsprung weiter ausbauen könnten. In den letzten Jahren wurde eine Reihe verschiedener Ansätze zur Bestimmung der digitalen Reife entwickelt, die sehr 5 Verhoef et al. (2021). 6 Kammerlander et al. (2020). 7 Berghaus/Back (2016). 8 Williams et al. (2019). 9 Teichert (2019). Gesellschafterkompetenz unterschiedliche Dimensionen derselben zugrunde legen. Berg- haus/ Back (2016) entwickeln ein sehr differenziertes Modell der digitalen Reife des Unternehmens entlang der Wertschöpfungs- stufen und wesentlichen strukturellen Unternehmensbereiche. Der Ansatz von Catlin/Scanlan/Willmott (2015) im Vergleich aggregiert vier Dimensionen in den Bereichen Strategie, Kultur, Human Resources und Organisationsstruktur. Alternativ dazu führt Rossmann (2018) die digitale Reife auf acht verschiedene Dimensionen von organisationalen Fähigkeiten wie z.B. Tech- nologiefähigkeiten, Führungsfähigkei ten und strategische Fähig keiten zurück. 1. Dimensionen der digitalen Reife des Unternehmens Insbesondere der Ansatz von Berghaus/Back (2016) ist aufgrund seiner Granularität handlungsleitend. Ausgehend von einer holistischen Perspektive auf die digitale Transformation ent- wickeln sie ein fünfstufiges Reifegradmodell, welches auf neun Kerndimensionen zurückgeführt werden kann: (1) Das Kundenerlebnis stellt eine wesentliche Dimension der digitalen Reife dar. Die durch die Digitalisierung veränderten Kundenbedürfnisse müssen von dem Unternehmen zunächst verstanden und das eigene Wertangebot entsprechend aus- gestaltet werden. Das Kundenerlebnis basiert demzufolge auf der Analyse der Kundendaten über verschiedene Ka- näle hinweg und den Fertigkeiten des Unternehmens, aus diesen Rückschlüsse für das eigene Angebot und die indi- viduelle Anpassung dessen an den Kunden zu ziehen. (2) Die Produktinnovation bildet die Tendenz des Unternehmens ab, bereits etablierte Produkte und Services mit digitalen Lösun- gen zu ergänzen. Dabei sind die Kompetenzen, (digitale) Inno- vationen zu entwickeln und umzusetzen, sowie die Einbindung des Kunden in den Wertschöpfungsprozess maßgeblich. (3) Die digitale Strategie stellt einen wesentlichen Baustein der Digitalisierung dar. Hierbei geht es darum, klare langfristige Ziele der Digitalisierung zu definieren, die sicherstellen, dass die operativen Aktivitäten einem übergeordneten Plan folgen und entsprechend orchestriert werden. Daraus ergeben sich klare Verantwortlichkeiten und Prozesse. (4) Die Organisation muss einen geeigneten strukturellen Rah- men bieten, um die digitale Transformation zu ermöglichen. Dazu gehört insbesondere die Schaffung einer agilen Ar- beits- und Projektorganisation. (5) Damit zusammen hängen die Öffnung des Unternehmens nach außen und die verstärkte Zusammenarbeit mit Part- nern mit geeigneten Digitalkompetenzen (z.B. Start-ups, Agenturen, Universitäten) durch den Aufbau von Partner- netzwerken oder Crowdsourcing. (6) Prozessdigitalisierung umfasst den Einsatz von digitalen Technologien zur Optimierung von internen und externen Prozessen. Diese basiert auf dem Einsatz von Technologien und/oder Daten zur Automatisierung unterschiedlichster Prozesse. Die Verwendung digitaler Technologien zur Ver- besserung von Kommunikationsflüssen und Kollaboration unter den Mitarbeitenden erlaubt zudem eine verbesserte Vernetzung der Belegschaft zur Optimierung des Wissen- stransfers. Des Weiteren ermöglichen digitale unterneh- mensübergreifende Prozesse eine effektive Kommunikation mit externen Akteuren. FUS I SONDERAUSGABE/2022 49

Gesellschafterkompetenz Digitale Reife des Familienunternehmens und der Unternehmerfamilie Digital Trans- formation 3 Digitalization Digitaler Reifegrad der Unternehmerfamilie Digital Openness Digital Readiness 1 2 Digitization Promote & Support Create & Build Data-driven Enterprise Digitaler Reifegrad des Unternehmens Commit to transform User-centred processes Abb. 2; Quelle: Eigene Darstellung kleinste gemeinsame Nenner die Nutzerzentriertheit ist. Ent- lang der Innovationsprozesse werden die Individualisierung der Kundenerfahrungen und die Konzentration auf Kundendaten bei der Gestaltung von Interaktionen bedeutsamer und über die Festlegung von Transformationszielen sowie die Key Per- formance Indicators für digitale Kanäle integriert. Die fünfte und letzte Stufe, an deren Abschluss ein Data-driven Enterprise steht, ist gekennzeichnet durch die Sammlung, Analyse und sinnvolle Nutzung von Kundendaten, die fest in den Geschäfts- prozessen verankert werden. Die Verwendung von fortschritt- lichen Datenanalysetechnologien und die damit einhergehen- de Festsetzung von messbaren Indikatoren werden zu der wei- teren Zielsetzung und Entscheidungsfindung des digital trans- formierten Unternehmens verwendet. Aus den vorangehenden Überlegungen lässt sich ein multi- dimensionales Bild der Digitalisierung in (Familien-)Unterneh- men skizzieren. Der Prozess der digitalen Transformation um- fasst auf der einen Seite die inhaltliche Ausgestaltung konkre- ter Maßnahmen der Veränderung (Inhaltsachse). Damit diese Maßnahmen erfolgreich umgesetzt werden können, muss das Unternehmen jedoch auch die nötige digitale Reife erreichen, welche sich in den skizzierten Reifegradstufen widerspiegelt (Reifegradachse). Es lässt sich schlussfolgern, dass die fort- geschrittenen Phasen der Digitalisierung und insbesondere eine digitale Transformation nur erreicht werden können, wenn die richtigen inhaltlichen Maßnahmen und eine angemessene digitale Reife aufeinandertreffen. III. Der digitale Reifegrad der Unternehmerfamilie In der vorangegangenen Betrachtung stellt sich die Frage, wo- rin die Besonderheit von Familienunternehmen zu sehen ist. Zwar zeigt umfangreiche Forschung, dass verschiedene der genann- ten Dimensionen der digitalen Reife (z.B. Produktinnovation10) in Familienunternehmen anders ausgeprägt sind, aller dings resul- tiert dies vornehmlich in einer geringeren digitalen Reife, ohne die Herausforderungen der Digitalisierung maßgeb lich zu beeinflussen. Unbeachtet bleibt in der bisherigen Diskussion um digitale Reife allerdings weitgehend die Bedeutung der Unter- nehmerfamilie. In Familienunternehmen rückt die Unternehmer- familie als Dreh- und Angelpunkt aller Entscheidungsprozesse in das Zentrum der Betrachtung. Ihre Einflussnahme auf das Fami- lienunternehmen erfolgt mitunter durch die Mitgestaltung der Unternehmensziele, Festlegung von (Steuerungs-)Strukturen und Entscheidungsprozessen anhand der eigenen familiären Vorstel- lungen und Prioritäten sowie durch das Bereitstellen von eige- nen Ressourcen und Fähigkeiten11. Nach aktuellen Erkenntnis- sen von Clauß et al. (2022) stellen die Eigentümer in Familien- unternehmen neben dem Top-Management die wichtigsten Trei- ber (oder auch Hindernis) der Digitalisierung dar. Daraus lässt sich ableiten, dass die Unternehmerfamilie auch das Verfolgen von technolo gischen und digitalen Innovationen auf allen Stu- fen und in allen Unternehmensbereichen maßgeblich beeinflusst. Um dem Rechnung zu tragen, ist es für Familienunternehmen wichtig, neben der digitalen Reife des Unternehmens auch 10 S. Calabrò et al. (2019). 11 Kammerlander et al. (2015). FUS I SONDERAUSGABE/2022 51

Gesellschafterkompetenz Zusammenhalt in einer Lockdown­Situation zu organisieren. FuS – Zeitschrift für Familienunternehmen und Strategie, 11(2), S. 42–48. Rüsen, T. A./Heider, A. K./Hülsbeck, M./Orenstrat, R. (2021): Der Einfluss der Unternehmerfamilie auf den Digitalisierungs­ prozess des Familienunternehmens. Determinanten und Wirkung des „digitalen Reifegrads“ einer Unternehmerfamilie. Witten: Wittener Institut für Familienunternehmen (WIFU). Scheffler, M. A. (2020): Digital Transformation durch Digital Readiness und Digital Open­ ness. Eine empirische Analyse unternehmerischer Implementa­ tionsstrategien. Masterarbeit. Universität Witten/Herdecke. Scheffler, M. A. (2021): Technological Frames in Family Businesses; conference abstract. Paper presented at the 11. Konferenz der deutschsprachigen Forschungszentren und Institute für Familienunternehmen (FIFU). Teichert, R. (2019): Digital Transformation Maturity: A Systematic Review of Literature. In: Acta Universitatis Agriculturae et Silviculturae Mendelianae Brunensis, 67(6), S. 1673–1687. Verhoef, P. C./Broekhuizen, T./Bart, Y./Bhattacharya, A./ Dong, J. Q./Fabian, N./Haenlein, M. (2021): Digital transformation: A multidisciplinary reflection and research agenda. In: Journal of Business Research, 122, S. 889–901. Westerman, G./Bonnet, D./McAfee, A. (2014): Leading Digital. Turning Technology into Business Transformation. Boston, MA: Harvard Business Review Press. Williams, C. A./Schallmo, D./Lang, K./Boardman, L. (2019): Digital Maturity Models for Small and Medium­sized Enterprises: A Systematic Literature Review. Paper presented at the ISPIM Conference Proceedings. Prof. Dr. Thomas Clauß ist Lehrstuhlinhaber des WIFU­Stiftungs lehrstuhls für Corporate Entrepreneurship und Digitalisierung in Familienunternehmen. Marc André Scheffler ist Promotionsstipendiat der WIFU­Stiftung. Maren Bendel ist wissenschaftliche Hilfskraft des WIFU­Stiftungslehrstuhls für Corporate Entrepreneurship und Digitalisierung in Familienunternehmen. KEYWORDS Digitalisierung • digitaler Reifegrad • digitale Reifegradstufen LITERATURVERZEICHNIS Anthony, S. D./Viguerie, S. P./Schwartz, E. I./ Van Landeghem, J. (2018): 2018 Corporate Longevity Forecast: Creative Destruction is Accelerating. Boston, MA: Innosight Holdings, LLC. Berghaus, S./Back, A. (2016): Stages in Digital Business Transformation: Results of an Empirical Maturity Study. Paper presented at the MCIS. Berrone, P./Cruz, C./Gomez-Mejia, L. R. (2012): Socioemotional Wealth in Family Firms: Theoretical Dimensions, Assessment Approaches, and Agenda for Future Research. In: Family Business Review, 25(3), S. 258–279. Calabrò, A./Vecchiarini, M./Gast, J./Campopiano, G./ De Massis, A./Kraus, S. (2019): Innovation in Family Firms: A Systematic Literature Review and Guidance for Future Research. In: International Journal of Management Reviews, 21(3), S. 317–355. Catlin, T./Scanlan, J./Willmott, P. (2015): Raising your digital quotient. McKinsey Quarterly, abrufbar unter https://www.mckinsey.com/business­functions/strategy­and­cor­ porate­finance/our­insights/raising­your­digital­quotient [Stand: 24.07.2022]. Clauß, T./Block, J. H./Johann, M./Lorenzen, S./ Bendel, M. (2022): Digitalisierung in deutschen Familienunternehmen. Empirische Befunde zu Status quo, Zielsetzungen und Erfolgsfaktoren. WIFU­ Studienbericht. Witten: Wittener Institut für Familienunternehmen (WIFU). Clauß, T./Scheffler, M. A. (2021): Digitale Transformation von Familienunternehmen. In: Rüsen, T. A. (Hrsg.): Theorie und Praxis der Unternehmerfamilie und des Familienunternehmens. Festschrift für Arist von Schlippe (Vol. 1). Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht. De Massis, A./Eddleston, K. A./Rovelli, P. (2021): Entrepreneurial by Design: How Organizational Design Affects Family and Non­family Firms’ Opportunity Exploitation. In: Journal of Management Studies, 58(1), S. 27–62. Kammerlander, N./Sieger, P./Voordeckers, W./Zellweger, T. (2015): Value creation in family firms: A model of fit. In: Journal of Family Business Strategy, 6(2), S. 63–72. Kammerlander, N./Soluk, J./Zöller, M. (2020): Digitale Transformation im Mittelstand und in Familienunter nehmen: eine explorative Studie zur Digitalisierung von Prozessen, Produk­ ten, Dienstleistungen und Geschäftsmodellen in deutschen Mittel­ stands­und Familienunternehmen; Praxisreport Januar 2020. Kane, G. C./Palmer, D./Nguyen-Phillips, A./Kiron, D./ Buckley, N. (2017): Achieving digital maturity. MIT Sloan management review, 59(1). Rossmann, A. (2018): Digital maturity: Conceptualization and measurement model. Thirty Ninth International Conference on Information Systems. Rüsen, T. A. (2021): Management der Unternehmerfamilie 4.0. Formen eines digitali­ sierten Familienmanagements und Ansätze den Austausch und FUS I SONDERAUSGABE/2022 53

Gesellschafterkompetenz Rechnungswesen an der Strategie ausrichten! Strategie (Ziele) Struktur (Organisation) Steuerung (Controlling) Rechnungs- wesen Abb. 1; Quelle: Eigene Darstellung • Die Liquidität informiert über die Finanzlage. • Der Erfolg (Gewinn/Verlust) bildet meist auf Jahresbasis das Ergebnis der betrieblichen Aktivitäten ab. • Das Erfolgspotenzial im Sinne der langfristigen Erhöhung der Unternehmenswerte prognostiziert den erwarteten bzw. geplanten langfristigen Erfolg des Unternehmens. Die klassischen betriebswirtschaftlichen Ziele sind ökonomi- scher Natur und haben die Gewinnmaximierung im Fokus. Nach heutiger Sicht sind Ökonomie, Ökologie und Soziales in Einklang zu bringen. Dies verlangt Prioritätensetzung, die das Rechnungs- wesen abbilden, aber nicht ersetzen kann. Insbesondere sind unternehmensexterne Auswirkungen auf die Umwelt und Gesellschaft, die bisher nicht ins Kalkül einbezogen wurden, zu ermessen und zu bewerten. Die Vielfalt der Teilgebiete und ihrer Aufgaben verlangt Inte- gration des Rechnungswesens. Es muss sichergestellt sein, dass der Informationsfluss von einem Rechnungswesenbereich zu einem anderen eindeutig definiert ist (z.B. Einkaufsaus gaben für Material werden zu Kosten, wenn das Material verbraucht wird). Auch muss jede verwendete Begriffskategorie eindeutig definiert sein (z.B. Liquidität). Zu beachten ist auch, dass die Zahlen des Rechnungs wesens nur die Spitze eines Informationseisbergs sind. Hinter den Geld- größen des Rechnungswesens stehen im Sinne einer Ursachen- Wirkungs-Kette Mengen, Kapazitätsauslastungsgrade, Markt- anteile, Zeitbedarfe etc. Will man ein Unter nehmen erfolgsziel- orientiert steuern, so ist zuallererst zu fragen, über welche „Stellschrauben“ die Geldgrößen wie beeinflusst werden kön- nen (z.B. Kosteneinsparungen über Senkung der Ausschuss- quote). Man spricht von einer Wertehierachie. Die Zahlen des Rechnungswesens sind in den laufenden Planungs-, Steuerungs- und Kontrollprozess einzubinden. Es ist dabei dafür zu sorgen – und dies ist die Aufgabe des Controllers –, dass jeder Entscheider über das Repor ting die jeweils adäquaten Informationen erhält. Entscheidungen sind immer zukunftsgerichtet. Hierzu hat das Rechnungswesen die Planungen in Gestalt von Budgets abzu- bilden und durch die Informationen über die Zielerreichung zu liefern. Erst der Plan-Ist-Vergleich ermöglicht Steuerung. Mit einer vergangenheitsorientierten Jahresbilanz kann man nicht steu- ern! (Der Rückspiegel reicht nicht zur Lenkung eines Autos – man braucht in erster Linie die Scheinwerfer!) In Familienunternehmen kommt noch eine zusätzliche Auf- gabe auf das betriebliche Rechnungswesen zu. Es sind den Firmeneignern geeignete Informationen zur Verfügung zu stel- len, damit diese – je nach Einbindung und Entscheidungs- rechten – ihre Entscheidungen in Bezug auf das Unterneh- men treffen können (z.B. Entnahmen). Unter Umständen ist dies eine durchaus herausfordernde Aufgabe, denken wir etwa an große, weitverzweigte Familienunternehmen. III. Steuerung mit Unterstützung des Rechnungswesens 1. Grundprinzipien Im Folgenden fokussieren wir uns auf die betrieblichen – und nicht auf die familiären – Entscheidungen und auf die Frage, wo welche Rechnungsweseninformationen zur Ent- scheidungsunterstützung dienen können. Die wichtigste Unter- scheidung ist hier zwischen operativen und strategischen Entscheidungen. Operative Entscheidungen beziehen sich – vereinfachend gesagt – auf Nutzung und Detailveränderung Teilgebiete des Rechnungswesens Rechnungswesen extern intern Unternehmensführung, Stakeholder Adressaten Unternehmensführung, Management Dokumentation, Vermögens-, Finanz-, Ertragslage Informationszwecke Planung, Steuerung, Kontrolle nach steuerlichen Gesichtspunkten Adressat: Fiskus nach handelsrechtlichen Gesichtspunkten Adressat: Eigner, Gläubiger, evtl. Öffentlichkeit steuerrechtlicher Jahres- abschluss handelsrechtlicher Jahresabschluss und Lagebericht nach betriebswirtschaftlichen Gesichtspunkten Kosten- und Leistungsrechnung Investitions- und Finanzrechnungen gesetzliche Regelungen meist keine gesetzlichen Regelungen Abb. 2; Quelle: Eigene Darstellung FUS I SONDERAUSGABE/2022 55

Gesellschafterkompetenz Rohstoff- lieferung + Rechnung Rohstoff- kauf Cash Conversion Cycle Kunde bestellt Erwarteter Zahlungs- eingang Tatsächlicher Zahlungs- eingang Rohstoff- rechnung begleichen Produktion Auslieferung + Rechnungs- stellung Kunde begleicht Rechnung Days Payables Outstanding Days Inventory Outstanding Days Sales Outstanding Kapitalbindung Abb. 4; Quelle: Eigene Darstellung größen stehen Ursachen („Treiber“), die gewissermaßen „Stell- schrauben“ der Steuerung darstellen. Beispielsweise beein- flusst die Zahl der Überstunden die Höhe der Lohnkosten je Produkteinheit. Typische Fragestellungen an die Kosten- und Leistungsrech- nung betreffen die Wertschöpfung des Unternehmens, etwa: • Welches Produkt bringt einen Gewinn, welches einen Verlust? • Wie viel Umsatz müssen wir machen, um die Gewinn- schwelle zu erreichen? • Welche Maschine ist wirtschaftlicher für eine bestimmte Produktionsausgabe? Der Wettbewerb zwingt die Unternehmen, ihre Wirtschaftlich- keit ständig zu verbessern. Daher ist es eine Daueraufgabe der Kosten- und Leistungsrechnung, Informationen zu liefern, die dabei helfen, die Kosten- und Leistungsposition des Unter- nehmens auf den Prüfstand zu stellen und Anregungen zu Optimierungsmaßnahmen zu liefern. Der Controller darf hier- bei kein reiner Zahlenlieferant bleiben, sondern er hat aktiv an der Ergebnisverbesserung mitzuarbeiten. So gehört z.B. zu seinen Aufgaben, bei der Kostenoptimierung betrieblicher Prozesse (beispielsweise Ablauf des Einkaufprozesses) mit- zuwirken. • Wie hoch sind unsere Gemeinkosten („Overhead“)? • Wie hoch sind unsere Logistikkosten? Die Finanzrechnung ist auf die Liquidität gerichtet. Beispiel- fragen sind: • Wie hoch sind unsere festen Ausgaben für einen Monat? • Wie lange dauert es, bis die Kunden bezahlen? • Ist auch für unerwartete Ausgaben genügend Liquidität gewährleistet? • Welcher zusätzliche Liquiditätsbedarf entsteht durch die Verteuerung eines Rohstoffs? Die Umsatz- und Ertragsziele werden mit der strategischen Planung abgestimmt Planwert Prognosewert Firm Base z t a s m U / g a r t r E Ungedeckte Lücke Projekte 2014 2015 2016 2017 2018 2019 2020 2021 2022 2023 Abb. 5; Quelle: Eigene Darstellung 3. Strategische Steuerung mit Unterstützung des Rechnungswesens Das klassische Rechnungswesen ist operativ-kurzfristig aus- gerichtet. Man hat allerdings zunehmend erkannt, dass auch für die Strategieentwicklung und -umsetzung Rechnungs- weseninformationen unerlässlich sind: • Die Strategieentwicklung muss mit den betriebswirtschaft- lichen Zielen „abgestimmt“ werden. • Die Strategieumsetzung hat die Strategieziele in einzelne operative Zielvorgaben „herunterzubrechen“. • Ökologische und soziale Ziele sind in die Strategie zu integrieren. Ein klassisches Instrument zur Abstimmung der Ertrags-/ Umsatzziele mit der strategischen Planung ist die sogenannte Gap-Analyse. Sie zeigt, inwieweit durch die Strategie die be- triebswirtschaftlichen Ziele erreicht werden (vgl. Abb. 5). Eine große Herausforderung stellt die Umsetzung einer Unter- nehmensstrategie in konkreten messbaren operativen Ziel- größen dar. Durch den Einsatz der Balanced Scorecard wird diese Aufgabe gelöst. Die Balanced Scorecard bildet die Stra- tegie in Form eines Kennzahlensystems ab (vgl. Abb. 6). Grundsätzlich können alle Rechnungsweseninstrumente auch für die Unterstützung der langfristigen strategischen Steuerung eingesetzt werden (z.B. langfristige Finanzpläne, Lebenszyklus- kosten). FUS I SONDERAUSGABE/2022 57

Gesellschafterkompetenz Den Einfluss der Gesellschafter sichern Wie Governance Familienunternehmen strukturieren kann Von Prof. Dr. Hermut Kormann ABSTRACT Schon mehrfach wurde darauf hingewiesen, dass die Vitalität von Familienunternehmen – gemessen an deren Überlebensfä- higkeit – deutlich höher ist als die der Börsengesellschaften. Es könnte sein, dass intensives „Kümmern“ um die Unterneh- mensführung durch gute Governance einer der Schlüsselfaktoren ist, diese Unternehmen langlebiger zu machen. Und es könn- te ferner sein, dass die Beteiligung der Familiengesellschafter an der Governance dazu verhilft, deren Qualität zu fördern. I. Beteiligung der Gesellschafter an der Governance als Erfolgsfaktor für das Familienunternehmen Die Einflussnahme der Gesellschafter auf die Führung des Un- ternehmens wird in allen wissenschaftlichen Konzeptionen der Familienunternehmung als ein typusbestimmendes Merkmal gesehen.1 Bei Start-up-Unternehmen, KMU und Gründer- unternehmen, oft auch noch in der zweiten Generation, wird der Familieneinfluss durch die Identität von Eigentum und Führung in der Funktion Geschäftsführender Gesellschafter bewirkt. Die- se Thematik ist unter der Überschrift „Nachfolgefrage“ inten- siv erforscht. Diesen Fall der „direkten“ Einflussnahme in der Geschäftsführung wollen wir hier ausklammern. Spätestens ab der dritten Generation ist die Zahl der Familiengesellschafter größer als die Zahl der verfügbaren Geschäftsführungspositio- nen. In der Praxis dominieren dann bei den größeren Unterneh- men ohnehin die Nicht-Familiengeschäftsführung oder die ge- mischte Geschäftsführung aus Gesellschaftern und angestellten Geschäftsführern. In diesen Konstellationen muss eine ganze Reihe von Gestaltungsparametern für die Verfassung des Fa- milienunternehmens im Allgemeinen und der Institutionen der Governance im Besonderen darauf eingestellt werden, den Ein- fluss der Gesellschafter auf das Unternehmen sicherzustellen. II. Geordnete Willensbildung der Familie als Voraussetzung der Einflussnahme Voraussetzung dafür, dass die Gesellschafterfamilie Einfluss auf die Unternehmensentwicklung nimmt, ist, dass sie – als Familie – dazu etwas Wesentliches zu sagen hat. Die Anforde- 1 Vgl. etwa Klein (2010). rung ist nicht trivial. Es geht dabei nicht darum, die Wunsch- liste jedes Gesellschafters im Hinblick auf seine Beteiligung an dem Unternehmen einzusammeln. Es geht darum, eine gemeinschaftliche Willensbildung der Gesellschafter zu bewirken und diese kommunikationsfähig und möglichst INHALT I. Beteiligung der Gesellschafter an der Governance als Erfolgsfaktor für das Familienunternehmen II. Geordnete Willensbildung der Familie als Voraussetzung der Einflussnahme III. Sicherung des Einflusses durch die Rechtsform der Spitzen­ einheit IV. Vinkulierung der Anteile und Genehmigungserfordernis für die Börseneinführung V. Sicherung des Einflusses bei Konzernstrukturen 1. Maßnahmen zur Demediatisierung 2. Kaskaden der Gewinnausschüttung 3. Auskunfts­ und Weisungsrecht VI. Vermeidung und Beschränkung der Mitbestimmung VII. Sicherung des Einflusses durch Vorbehalt der Personalkom­ petenz VIII. Sicherung des Einflusses durch Gesellschafter­Gesellschaften und Gesellschaftervereinbarungen IX. Repräsentanz der Gesellschafter im Beirat 1. Familienintern dominierte Beiräte 2. Gemischt familienexterne und familieninterne Beiratsbesetzung X. Vorteile der Gesellschaftermandate XI. Probleme der Gesellschaftermandate XII. Zusammenfassung FUS I SONDERAUSGABE/2022 59

Gesellschafterkompetenz zudehnen.14 Dieser Regelungskomplex wird unter dem Begriff der „Demediatisierung“ zusammengefasst. Im Kontext der Demediatisierung muss geregelt werden, dass die Geschäftsführung der Spitzeneinheit ihren Aufsichtsgremi- en für die Angelegenheiten der gesamten Unternehmensgrup- pe einschließlich der operativen Tochtergesellschaften rechen- schaftspflichtig ist und dass die Beschlüsse dieser Gremien in der gesamten Unternehmensgruppe durchgesetzt werden müs- sen. So ist es zur Vermeidung einer Mediatisierung erforderlich und auch üblich, dass die Geschäftsführer einer Muttergesell- schaft die Genehmigungsvorbehalte, denen sie selbst unter- liegen, auch in die Geschäftsordnungen für die Governance- Institutionen der Tochtergesellschaften aufnehmen. 2. Kaskaden der Gewinnausschüttung Die Gewinnausschüttung kann rechtlich nur aus der obersten Gesellschaft, eventuell also einer Gesellschafter-Gesellschaft, an die einzelnen Gesellschafter erfolgen. Wirtschaftlich gese- hen muss aber für die Gewinnausschüttung auf den Ertrag der operativen Gesellschaften des ganzen Konzerns zugegriffen werden können, um die Gewinnausschüttung finanziell zu er- möglichen. Es ist daher zweckmäßig, etwaige statutarische Regeln zu Unter- und Obergrenzen der Gewinnausschüttung auf den Konzerngewinn zu beziehen.15 3. Auskunfts- und Weisungsrecht Die Auskunfts- und Weisungsrechte der Gesellschafter dürfen nach allgemein organisatorischen Grundsätzen nicht auf die Tochtergesellschaften ausgedehnt werden.16 Innerhalb der Organisation muss die hierarchische Ordnung eingehalten wer- den, und es dürfen solche Auskunftswünsche nicht an der Kon- zerngeschäftsführung vorbei direkt an die Untergesellschaften gerichtet werden. Dies gilt umso mehr, als es sich dabei um Instrumente handelt, die vorzugsweise in Konflikten eingesetzt werden. Der Konflikt auf der Gesellschafterebene würde damit in die Organisation hineingetragen, die Autorität der Geschäfts- führung würde untergraben und das operative Geschäft könnte beeinträchtigt werden. Wenn es eine Holding-Gesellschaft der Gesellschafter gibt, be- schränken sich die gesetzlichen Auskunfts- und Weisungsrechte der einzelnen Gesellschafter auf eben diese Gesellschaft. Ein Durchgriff dieser Rechte auf das abhängige Unternehmen ist nicht ohne Weiteres möglich. Es sind aber Auftragskas kaden möglich, bei denen die Geschäftsführung der Holding-Gesell- schaft eine Weisung erhält, in der Ausübung ihrer Governance- Funktion gegenüber dem nachgeordneten Unternehmen eine Auskunft zu beschaffen oder eine Weisung umzusetzen. Das Weisungsrecht ist aber ohnehin ein untaugliches Mittel der Ein flussnahme. Wird es gegenüber einem Nicht-Familien- Geschäftsführer ausgeübt, muss dieser – so er nur etwas Selbst- achtung hat – zurücktreten. Wird es gegenüber einem Ge- schäftsführenden Gesellschafter ausgeübt, hat man einen mani- festen Konflikt im Gesellschafterkreis. Es wird auch nur sehr 14 Kraft (1995), Emmerich/Habersack (2013). 15 Kormann (2013), Layer/Hermann (2014). 16 Zur Problematik des Weisungsrechtes aus Sicht der Führung und Governance siehe Kormann (2008), S. 248 ff. selten davon berichtet, dass es in einer Gesellschaft zum Tragen kam – und dann mit den eben beschriebenen Konsequenzen. VI. Vermeidung und Beschränkung der Mitbestimmung Der Einfluss der Gesellschafter wird durch die Mitbestimmung auf Unternehmensebene begrenzt, z.B. ganz auffällig durch die Personalkompetenz eines mitbestimmten Aufsichtsrats. Daher gehört es zum Standard der Gestaltung der Governance in Fa- milienunternehmen, die Mitbestimmung auf Unternehmensebe- ne zu vermeiden. Sie hängt in erster Linie von der Rechtsform und in zweiter Linie von der Anzahl der inländischen Mitarbei- ter der Unternehmensgruppe ab. Die Mitarbeiterzahl wächst freilich bei einem erfolgreichen Unternehmen im Laufe der Zeit. Wenn also beabsichtigt wird, die Mitbestimmung auf Dauer zu vermeiden, muss dies über die Wahl der Rechtsform erreicht werden. Hierfür steht eine Reihe von Gestaltungsoptionen zur Verfügung: Eine bestimmte Konstruktion bei der GmbH & Co. KG genügt bereits zur Vermeidung der Mitbestimmung.17 Ferner sind SE & Co. KG oder Stiftung & Co. KG geeignete Rechtsformen, um die Mitbestimmung auszuschließen. Auch der Einsatz einer ausländischen Kapitalgesellschaft anstelle der GmbH als voll haftende Gesellschafterin kommt dafür in Betracht. Schließlich führt die rechtzeitige Wahl der SE für eine von der Mitarbeiterzahl her noch mitbestimmungsfreie Unternehmung dazu, dass der mitbestimmungsfreie Status für die SE auch dann bewahrt werden kann, wenn die Beschäftigtenzahl die Schwellenwerte für die Einführung der Mitbestimmung erreicht. In den Fällen, in denen eine Mitbestimmung bereits qua Rechts- form (AG oder GmbH) bei Überschreitung der jeweiligen Be- schäftigtenzahl unvermeidlich wird, ist es üblich, neben dem Aufsichtsrat ein Gremium zu schaffen, in dem die Anteilseig- nervertreter unter sich sind und gemeinsam mit der Geschäfts- führung die „eigentliche“ Arbeit der Aufsicht und Beratung leisten. Ein solcher als Parallelgremium geschaffener Beirat kann z.B. die Anteilseignervertreter im Aufsichtsrat umfassen und damit deren Kommunikation und gegebenenfalls Stimm- verhalten im Aufsichtsrat abstimmen.18 VII. Sicherung des Einflusses durch Vorbehalt der Personalkompetenz In der GmbH ist der Einfluss der Gesellschafter letztlich durch das gesetzliche Weisungsrecht (§ 37 Abs. 1 GmbHG) abgesichert. Angesichts der Problematik, die mit einem tatsächlichen Ein- satz dieses Rechts verbunden ist, und angesichts der Bedeutung des Geschäftsführungsvorsitzenden für die Unter- nehmensleitung kann es allerdings als zweckmäßig erachtet werden, zur Sicherung des Einflusses der Gesellschafter 17 Eine Personengesellschaft mit einem unbeschränkt haftenden Gesellschafter unterliegt grundsätzlich nicht der Mitbestimmung. Bei der GmbH & Co. KG werden die Arbeitnehmer der KG jedoch unter bestimmten Umständen (§ 4 Abs. 1 Satz 1 MitbestG) der GmbH zugerechnet, sodass ein Aufsichtsrat zu bilden ist, wenn mehr als 2.000 Arbeitnehmer beschäftigt werden, vgl. § 1 Abs. 1 Nr. 2 MitbestG. Dies lässt sich aber e contrario § 4 Abs. 1 Sytz 1 MitbestG dadurch ausschließen, dass die Mehrheit der Kommanditisten – nach Anteilen oder Stimmen – nicht die Mehrheit der Geschäftsanteile oder Stimmen des Komplementärs (GmbH) hält, vgl. Hesselmann/Tillmann/Mueller-Thuns (2009), S. 20. 18 Zu den Gestaltungsmöglichkeiten der SE & Co. KG vgl. Sigle (2012). FUS I SONDERAUSGABE/2022 61

Gesellschafterkompetenz Ein ehemaliger Geschäftsführender Gesellschafter, der in den Beirat wechseln will, wird vermutlich auf seine Kompetenz ver- weisen, die er in seiner aktiven Zeit erworben hat. Er hat meist auch den nötigen Einfluss, um ein Mandat zu erhalten, wenn er dies erreichen will. Allerdings ist darauf hinzuweisen, dass es wenig sinnvoll ist, die für die Geschäftsführung erforderli- chen Kompetenzen im Beiratsgremium zu duplizieren. Im Beirat kommt es vielmehr auf eine Erhöhung der Diversität der Erfahrungen und Kompetenzen an, zu der die Geschäftsfüh- rungserfahrung im gleichen Unternehmen nicht beiträgt. Das Entscheidende an der Mitwirkung ist aber nicht die fachliche Kompetenz, die auch von anderen, familienexternen Mit gliedern geleistet werden könnte, sondern die Interessenkompetenz als Gesellschafter. Da sie als Gesellschafter die Konsequenz des Handelns der Governance-Institutionen zu tragen haben, muss ihnen daran gelegen sein, die Auswirkungen dieses Handelns zu beurteilen. Die Gesellschafter als Mandatsträger verfügen auch über die besondere Autorität, die Interessen der Inhaber- gruppe authentisch zu vermitteln. Gerade in einem Führungs- gremium, das sonst von professionellen Managern geprägt wird, ist es entscheidend, die spezifischen Werte und Zielvor- stellungen der Familie zur Geltung zu bringen. Dabei müssen die von der Familie entsandten Mandatsträger sich jedoch als Vertreter der Gesamtheit der Gesellschafter verstehen und ihr Handeln auf eine gute Entwicklung des Unternehmens ausrich- ten. Auf keinen Fall sollten sie der Versuchung erliegen, ihre persönlichen Interessen unter dem Hut der Gesamtverantwor- tung des Gremiums zu vertreten. Dies wäre eine Verletzung des Kollegialprinzips und würde zu Abwehrreaktionen der profes- sionell arbeitenden familienexternen Mandatsträger führen. Als „linking pins“23 zwischen der Gesellschafterebene und der Beiratsebene haben die Gesellschafter eine Kommunikations- aufgabe in beide Richtungen. Von der Gesellschafterebene tra- gen sie die Wünsche und Entscheidungsmaximen der Inhaber in das Aufsichtsgremium hinein. Gleichzeitig haben sie die Auf- gabe, die anderen Gesellschafter in angemessener Weise über die in den Verhandlungen des Beirats anstehenden Themen zu informieren und ein Meinungsbild darüber aufzunehmen. Die Gesellschaftermandate im Beirat stellen eine wichtige Platt- form dar, auf der die Gesellschafter ihre Anliegen äußern kön- nen. Dabei ist nicht nur an die Gesellschafter zu denken, die die Mandate wahrnehmen. Sie sind immer zugleich auch An- sprechpartner für ihre Mitgesellschafter. Die Bedeutung des Governance-Instruments Voice ist für die Familiengesellschaf- ter deshalb so hoch, weil die Option Exit nicht oder nur unter erschwerten Bedingungen zur Verfügung steht. Die wichtigste Funktion der familienangehörigen Beiräte besteht schließlich darin, eine Qualitätskontrolle der Beiratsarbeit sicherzustellen, denn als teilnehmende Beobachter gewinnen sie einen unmittelbaren Eindruck von der Arbeit des Vorsitzen- den und jedes einzelnen Mitglieds. XI. Probleme der Gesellschaftermandate Trotz aller Vorteile kann die Repräsentanz der Gesellschafter im Beirat auch problematische Nebeneffekte mit sich bringen. 23 Likert (1961). Die Auswahl einiger Mitglieder aus dem Gesellschafterkreis für die Übernahme eines Mandats in einer Governance-Institution wird tendenziell als Anerkennung ihrer Kompetenz oder ihres Einflusses angesehen. Damit wird aber auch ein Element der Ungleichheit geschaffen, das die immer latent vorhandenen Rivalitäten in einer Inhabergruppe erheblich intensivieren kann. Dies ist einer der Gründe dafür, dass für eine größere Inhaber- gruppe zusätzliche Institutionen, z.B. ein Familienrat, geschaf- fen werden sollten, um eine Mehrzahl von Ämtern für alle interessierten Familienmitglieder anbieten zu können. Wenn sich im Inhaberkreis Konflikte entwickeln, besteht die Tendenz, dass die Konflikte über die familienangehörigen Man- datsträger in das Beiratsgremium getragen werden. Das Glei- che gilt für das Störpotenzial eines „lästigen Gesellschafters“, der die Arbeit des Gremiums behindert. Andererseits können die Ordnungsstrukturen und prozeduralen Regelungen des Gover- nance-Gremiums ein solches Störpotenzial auch begrenzen. Zur Begrenzung negativer Auswirkungen empfiehlt es sich, dass die Gesellschafter nur einen oder zwei Vertreter in den Beirat entsenden und hierfür ihre qualifiziertesten Mitglieder auswählen. Durch diese Selektion wird verhindert, dass Vertreter aller Inte- ressengruppen oder Familienstämme repräsentiert sein wollen. Schließlich kann auch das Problem eines so weit gehenden Kompetenzmangels auftreten, dass die Präsenz von inkompe- tenten Gesellschaftern für die Beiratsarbeit völlig irrelevant oder sogar eine Zumutung für die übrigen Mitglieder ist. Man muss zwar nicht über Managementerfahrung verfügen, um einem solchen Gremium anzugehören: Man sollte aber doch ein Interesse am Unternehmen haben und selbst – mit gewissem Erfolg – einen Beruf ausüben, um die berufliche Arbeit ange- stellter Manager beurteilen zu können, und man sollte schließ- lich zu einer konzentrierten, mitunter auch kontroversen Dis- kussion imstande sein. Wenn nach diesen Kriterien keine hinreichend qualifizierten Gesellschafter als Mandatsträger zur Verfügung stehen, müssen die Inhaberinteressen durch einen professionellen Beauftragten vertreten werden. Oft ist dies dann ein anwaltlicher Berater der Gesellschafter. Als Entsandter der Gesellschafter hat er nicht die Aufgabe eines unabhängigen Mandatsträgers, sondern vertritt explizit die Interessen der Ge- sellschafter. In dieser Vertreterfunktion muss er sehr viel mehr Zeit für die Information der Gesellschafter einsetzen als die an- deren Beiratsmitglieder. Daher ist es auch üblich, dass er von den Gesellschaftern eine zusätzliche Vergütung für diesen Zeitaufwand erhält. XII. Zusammenfassung Wir gingen in unserer Betrachtung davon aus, dass ein richtiges Familienunternehmen nicht nur dann angenommen werden kann, wenn es von einem dominanten Geschäftsführenden Ge- sellschafter geführt wird. Vielmehr geht es bei dem Mehr- gesellschafter-Unternehmen darum, dass die Mehrzahl der Gesell schafter jenseits ihrer individuellen Interessen ein ge- meinschaftliches Interesse als Vorgabe für die Governance- Institutio nen (Gesellschafter, Beirat, Geschäftsführung) formulieren kann. Die Basis dieser gemeinschaftlichen Willens- bildung ist in aller Regel die Zielfunktion, das Unternehmen als selbstständiges, entwicklungsfähiges Unternehmen über Gene- rationen hinweg bewahren zu wollen. Es gibt Gestaltungs- FUS I SONDERAUSGABE/2022 63

Gesellschafterkompetenz Faktoren der Rechtsformwahl Aus der Perspektive eines Familienunternehmers Von Dr. Christian Klein-Wiele und Christian Wurmthaler ABSTRACT Dieser Beitrag gibt einen Überblick über die möglichen Rechtsformen sowie die typischerweise bei der Wahl der Rechtsform relevanten Themen. Der Fokus liegt dabei auf der Perspektive der Gesellschafter auf der „obersten Ebene“ eines Familienun- ternehmens. Nach der Einführung (I) werden zunächst die verschiedenen zur Verfügung stehenden Rechtsformen und ihre we- sentlichen rechtlichen Unterscheidungsmerkmale dargestellt (II). Dem schließt sich eine Übersicht der bei der Rechtsformwahl typischerweise zu berücksichtigenden Faktoren des Familienunternehmers an (III). I. Einleitung Die Wahl der für die unternehmerischen Aktivitäten geeigneten Rechtsform ist eine grundlegende strukturelle Entscheidung. Sie stellt sich für Familienunternehmer nicht nur bei der Grün- dung, sondern regelmäßig auch dann, wenn sich wegen geän- derter Verhältnisse Anpassungs- und Optimierungsbedarf an der Struktur des unternehmerischen Engagements ergibt. An- lass können z.B. gesetzliche oder steuerliche Änderungen, aber auch erforderliche Strukturanpassungen im Rahmen der Über- gabe des Unternehmens an die nachfolgende Generation sein. II. Rechtsformen und ihre wesentlichen Unterscheidungsmerkmale Das Gesetz sieht einen abschließenden Katalog an bestimmten Gesellschaftsformen vor, aus der die Gesellschafter grundsätz- lich frei wählen können. Auch Kombinationen aus verschiedenen gesetzlichen Gesellschaftsformen sind möglich und in der Praxis weitverbreitet. Das bekannteste Beispiel ist die GmbH & Co. KG. Die meisten Gesellschaftsformen können darüber hinaus in ihrem organisatorischen „Innenleben“ sehr flexibel gestaltet und auf die Bedürfnisse des Familienunternehmers bzw. der Gesell- schafter eines Familienunternehmens maßgeschneidert werden. Grundsätzlich wird unterschieden zwischen Personen- gesellschaften und Körperschaften. Zu Letzteren zählen insbe- sondere die Kapitalgesellschaften (GmbH, AG, SE), aber auch die Stiftung. 1. Personengesellschaften Personengesellschaften sind grundsätzlich in Bestand und Füh- rung von ihren Gesellschaftern abhängig. In der Grundkonzeption der Personengesellschaft sind die Gesellschafter die Träger von Rechten und Pflichten und nicht die Gesellschaft. Geschäftsfüh rerbefugnisse und organschaftliche Vertretungs- befugnisse stehen grundsätzlich nur den Gesellschaftern selbst zu.1 Die Abhängigkeit der Personengesellschaft von ihren Mit- gliedern wird auch dadurch deutlich, dass es keine Ein-Mann- Personengesellschaft geben kann. Verfügt eine Personenge- sellschaft durch das Ausscheiden eines Gesellschafters z.B. aufgrund dessen Todes nur noch über ein einziges Mitglied, erlischt die Gesellschaft liqui dationslos. Wegen der persona- len Verbundenheit der Gesell schafter untereinander ist auch die Verkehrsfähigkeit der Gesellschafteranteile grundsätzlich eingeschränkt. Die Grundform der Personengesellschaft bildet die BGB- Gesellschaft nach den §§ 705 ff. BGB. Systematisch dar- 1 Anders bei den Mischformen wie insbesondere der in der Praxis weitverbreiteten Rechtsform der GmbH & Co. KG, bei der ein Fremdmanagement als Geschäftsführer der GmbH bestellt werden kann. INHALT I. Einleitung II. Rechtsformen und ihre wesentlichen Unterscheidungsmerkmale 1. Personengesellschaften 2. Körperschaften III. Wichtige Faktoren der Rechtsformwahl 1. Haftung 2. Steuerliche Gesichtspunkte 3. Gestaltungsfreiheit von Gesellschaftsvertrag und Satzung 4. Geschäftsführung und unternehmerischer Einfluss der Eigentümer 5. Kontrolle des Managements 6. Publizität 7. Mitbestimmung FUS I SONDERAUSGABE/2022 65

Gesellschafterkompetenz Einkommen- bzw. Körperschaft- steuer (ohne Solidari tätszuschlag und Kirchensteuer) Personen gesellschaft Kapital gesellschaft Die Personengesellschaft selbst ist nicht Ein- kommensteuersubjekt. Die hinter der Gesell- schaft stehenden Personen werden besteu- ert („Trans parenzprinzip“). Der Unternehmer wird als natürliche Person mit bis zu 45% Einkommensteuer auf seinen Gewinnanteil belastet. Die Kapitalgesellschaft selbst ist Körperschaftsteu- ersubjekt: Der Gewinn der Kapitalgesellschaft wird mit 15% KSt belastet. Schüttet die Kapitalgesellschaft ihren Gewinn an ihre Gesellschafter aus, so haben die Gesellschafter diesen, soweit sie Einkommensteu- ersubjekt, also natürliche Person sind, mit Abgel- tungsteuer oder nach dem sogenannten Teilein- künfteverfahren zu besteuern. Gewerbesteuer Hebesatz variiert je nach Gemeinde zwischen 200% und 900% Gewerbesteuerlicher Freibetrag: 24.500 EUR Steuermesszahl: 3,5% Die Gewerbesteuer wird auf die Einkommen- steuerschuld angerechnet. Kein gewerbe steuer licher Freibetrag Steuermesszahl: 3,5% Eine Anrechnung der Gewerbesteuer auf die Kör- perschaftsteuer erfolgt nicht. gleichbar, wenn man bei der Kapitalgesellschaft die auf der Unter- nehmensebene und die auf der Gesellschafterebene anfallen den Steuern zusammenrechnet. Dies soll durch den nachfolgenden Belastungsvergleich veranschaulicht werden. Diesem liegt die Annahme zugrunde, dass das Unternehmen im laufenden Wirt- schaftsjahr 1 Mio. EUR Gewinn vor Steuern erzielt hat. Dieser soll nun vollständig ausgeschüttet werden. Um die Vergleichbarkeit zu gewährleisten, bleiben Gewinn- oder Verlustvorträge der Vor- jahre unberücksichtigt. Die Gesellschafter sind konfessionslos, ihr Einkommensteuersatz beträgt 45%. Die Gemeinde am Sitz der Firma verlangt einen Gewerbe steuerhebesatz von 400%. Anders liegt die steuerliche Belastung dagegen, wenn die Gewin ne nicht ausgeschüttet, sondern thesauriert werden. In diesem Fall fällt die steuerliche Belastung bei Personengesell- schaften im Vergleich zu Kapitalgesellschaften höher aus. Bei der Personengesellschaft unterliegen die Gesellschafter auch dann der Einkommensteuer, wenn sie die erwirtschafteten Gewin ne nicht entnehmen. Auf lange Sicht wiederum nehmen in der Regel (auch) die Gesellschafter einer Kapitalgesellschaft Gewinnausschüttungen vor, sodass sich die Rechtsformunter- schiede bei einer Ausschüttung in späteren Jahren ggf. wie- der ausgleichen. Gesellschafter einer Personengesellschaft können unter bestimmten Voraussetzungen seit 2008 für Gewin ne, die thesauriert werden, einen günstigeren Steuersatz in Anspruch nehmen. Personengesellschaften können sich zudem durch das mit Wir- kung zum 1. Januar 2022 eingeführte Optionsmodell wie Kapi tal- gesellschaften besteuern. Um die Option wirksam auszu- Ebene Rechtsform Unternehmensebene Gewinn vor Steuern Kapital- gesellschaft Personen- gesellschaft 1 Mio. EUR 1 Mio. EUR Gewerbesteuer i.H.v. 14% unter Berücksichtigung von Freibeträgen -140.000,00 EUR -136.570,00 EUR Körperschaftsteuer (KSt) 15% Soli (= 5,5% der ESt. bzw. KSt.) Steuern der Gesellschaft -150.000,00 EUR -8.250 EUR – – 298.250,00 EUR 136.570,00 EUR Verbleibender Gewinn nach Steuern der Gesellschaft 701.750,00 EUR 863.430,00 EUR Gesellschafterebene Abgeltungsteuer: 25% -175.437,50 EUR – Einkommensteuer (ESt) auf den Gewinn vor Steuern Pauschalierte Anrechnung der Gewerbesteuer auf die ESt. Soli Steuern des Gesellschafters Gesamt Gesamtsteuerbelastung -450.000,00 EUR +136.570,00 EUR -9.649,07 EUR -17.238,65 EUR 185.086,57 EUR 330.668,65 EUR 483.336,57 EUR 467.238,65 EUR Gesamtsteuerbelastung in Prozent 48,33% 46,72% Ertrag nach Ausschüttung 516.663,43 EUR 532.761,35 EUR FUS I SONDERAUSGABE/2022 67

Angelegen heiten einer GmbH & Co. KG. Eine professionelle Kontrolle der Geschäftsführung erfolgt in der Praxis am wirk- samsten über freiwillige oder gesetzliche Kontrollgremien (Bei- rat, Gesellschafterausschuss, Aufsichtsrat), die in allen Gesell- schaftsformen eingerichtet werden können. 6. Publizität In der Regel sind Familienunternehmer eher publizitätsscheu. Hingegen hat der Gesetzgeber insbesondere auf europäischer Ebene weitgehende Publizität- und Transparenzanforderungen aufgestellt. Alle größeren Familienunternehmen müssen ent- weder nach dem Handelsgesetzbuch oder nach dem Publizi- tätsgesetz ihre Jahresabschlüsse und ggf. Konzernabschlüs- se veröffentlichen. Dies gilt mittlerweile bei Bilanzsummen grö- ßer als 65 Mio. EUR, Umsatzerlösen höher als 130 Mio. EUR oder Arbeitnehmerzahlen größer als 5.000 auch bei solchen Unternehmen, bei denen eine oder mehrere natürliche Perso- nen mit ihrem Privatvermögen vollumfänglich persönlich haf- ten. Neben diesen Unternehmen sind auch alle anderen Ge- sellschaften, bei denen nicht wenigstens ein persönlich haften- der Gesellschafter eine natürliche Person ist (also alle Kapital- gesellschaften sowie insbesondere die GmbH & Co. KG), ver- pflichtet, ihre Jahresabschlüsse in elektronischer Form beim Bundesanzeiger zur Veröffentlichung einzureichen. Neben die- ser stark auf die wirtschaftlichen Zahlen fokussierten Publizi- tät sind – grundsätzlich unabhängig von der Rechtsform – die wirtschaftlich Berechtigten eines Familienunternehmens zum Transparenzregister zu melden. Als Leitlinie gilt, dass – unab- hängig von der Rechtsform – meldepflichtig ist, wer mehr als 25% der Anteile am Familienunternehmen besitzt. 7. Mitbestimmung Ein wesentlicher Aspekt bei der Rechtsformwahl kann die Fra- ge der Mitbestimmung sein. Diese knüpft in der Form der pa- ritätischen Mitbestimmung bei einem Überschreiten von 2.000 Arbeitnehmern in Deutschland innerhalb der Unternehmens- gruppe jedoch weitgehend an die Beschäftigtenzahl an und nicht an die Rechtsform. Damit kann sich auch die in der Pra- xis oft genutzte GmbH & Co. KG den Mitbestimmungsregeln nur bedingt entziehen, weil die dafür maßgeblichen Schwellen- werte durch Zurechnung unter Berücksichtigung der bei der KG tätigen Mitarbeiter zu ermitteln sind (§ 4 Abs. 1 MitbestG). Die Zurechnung steht jedoch unter dem Vorbehalt gleicher mehrheitlicher Beteiligungsverhältnisse in KG und Komplemen- tärgesellschaft. Dies lässt sich durch eine entsprechende Ge- staltung vermeiden. Als Gestaltungsalternative bietet sich zum einen die GmbH & Co. KGaA an. Bei dieser Gesellschaftskom- bination werden die Arbeitnehmer der GmbH & Co. KGaA der Komplementärgesellschaft nicht nach §§ 4 Abs. 1 oder 5 Abs. 1 MitbestG zugerechnet. Zum anderen kann eine SE oder eine ausländische Kapitalgesellschaft als Komplementärgesellschaft gewählt werden. Anders sieht es hingegen bei der Drittelparität aus, bei der ein Drittel der Aufsichtsratsplätze durch Arbeitnehmer zu besetzen ist. Diese gilt nur für Kapitalgesellschaften mit Ausnah me der SE. Außerdem findet hier bislang keine Zu- rechnung von Arbeitnehmern von Tochtergesellschaften der Gesellschafterkompetenz Obergesellschaft statt, sodass im Ergebnis bei der betreffen- den Kapitalgesellschaft selbst mindestens 500 Arbeitnehmer beschäftigt sein müssen. SPD, Grüne und FDP haben jedoch in ihrem Koalitionsvertrag beschlossen, die Zurechnungsre- gelungen des Mitbestimmungsgesetzes (paritätische Mit- bestimmung) auf das Drittelbeteiligungsgesetz (Drittelparität) zu übertragen. Interessante Gestaltungsmöglichkeiten bieten sich darüber hi- naus bei Gründung einer SE, was zumeist durch Umwandlung einer bestehenden AG oder durch Verschmelzung einer aus- ländischen AG mit einer deutschen AG erfolgt. In diesem Fall wird aufseiten der Arbeitnehmer aus allen europäischen Län- dern ein besonderes Verhandlungsgremium gebildet, mit dem über die zukünftige Ausgestaltung der Mitbestimmung sowohl im Aufsichtsrat als auch auf betrieblicher Ebene verhandelt werden kann. Über die strategischen Themen möchten die Ge- sellschafter eines Familienunternehmens typischerweise selbst befinden, d.h. ohne einen unmittelbaren Einfluss der Arbeit- nehmer im Kontrollgremium. Wird rechtzeitig die Rechtsform einer GmbH oder einer AG in eine SE umgewandelt, dann kann der bestehende mitbestimmungsfreie oder drittelparitätische Status quo in der Vereinbarung mit den Arbeitnehmern „einge- froren“ werden. Dennoch ist der seitens der Gewerkschaften häufig geäußerte Verdacht, es gehe lediglich um die Vermei- dung von unternehmerischer Mitbestimmung, nach unserem Eindruck in dieser Pauschalität nicht zutreffend. So hat in den letzten Jahren die Möglichkeit, mit den europäischen Arbeit- nehmern ein europäisches Arbeitnehmergremium einzurichten, in dem die Themen des Familienunternehmens besprochen werden können, die von europaweitem Interesse sind, an er- heblicher Bedeutung hinzugewonnen. Daneben spielt auch im- mer häufiger das Renommee einer SE als moderne und sup- ranationale Rechtsform eine Rolle. Dr. Christian Klein-Wiele ist Partner und Rechtsanwalt bei Hennerkes, Kirchdörfer & Lorz in Stuttgart. Christian Wurmthaler ist Rechtsanwalt bei Hennerkes, Kirchdörfer & Lorz in Stuttgart. KEYWORDS Rechtsform • Rechtsformwahl FUS I SONDERAUSGABE/2022 69

Gesellschafterkompetenz 1. Gefahr hoher Projektrenditen bei Verlustprogrammen. Wenn ein Unternehmen bestimmte Erzeugnisprogramme als chronische Verlustbereiche „mitschleppt“, droht ein Standard- problem: Eine kostensenkende Investition kann eine hohe Projektrendite haben, die ganze Erzeugnisgruppe bleibt aber negativ. In diesem Fall wird keine nachhaltige Wertsteigerung für das Unternehmen geschaffen. Es muss also ein gesam- tes Restrukturierungsprojekt mit umfangreicheren Investiti- onen geplant werden, um die Verlustsituation nachhaltig zu beseitigen. 2. Irrtum, die Soll-Durchschnittsrendite als Schwellwert anzuset- zen. In manchen Lehrbüchern steht, dass eine Eigenkapi tal- rendite (vor Steuern) von 15% erreicht werden sollte. Dieser Wert ist allerdings ein Durchschnitt aus höheren und niedri- geren Renditen. Es wäre nun falsch, dieses als Schwellen- wert zu fordern, den jede Investition erreichen müsste. Der Schwellenwert als Mindestziel kann deutlich niedriger als der Durchschnitt liegen, z.B. bei 10%. Man sollte also die Rendite schon rechnen, wo dies möglich ist, aber man kann daran nicht die Entscheidung knüpfen, wel- che Investitionen getätigt werden. Daher sollten sich die Ge- sellschafter damit nicht intensiver befassen. IV. Tragfähigkeit der Investition als wichtiges Beurteilungskriterium 1. Größenordnung des Investitionsvolumens Die aktivierungspflichtigen Investitionen werden im Durchschnitt über den jeweiligen jährlichen Abschreibungen des Unterneh- mens liegen müssen. Erstens führt der Zwang zur Produktivi- tätssteigerung tendenziell dazu, dass die Wertschöpfungs- prozesse kapitalintensiver werden müssen und damit die Auf- wendungen für das Anlagevermögen steigen und die Perso- nalkosten abnehmen. Zweitens haben Wachstumsprozesse eine starke Hebelwirkung auf die Investitionen. Kapazitätser- weiterungen können immer nur in gewissen Stufen vorgenom- men werden; zudem müssen dann die neuen Maschinen und Gebäude zu den (hohen) Beträgen für Neuanschaffungen erwor- ben werden. Das im Unternehmen bereits genutzte Vermögen ist hingegen schon teilweise abgeschrieben. Zu Neuwerten müssen für 10 Mio. EUR zusätzlichen Umsatz etwa 3 Mio. bis 4 Mio. EUR Anlagevermögen investiert werden. Im Laufe der Jahre wird dieser Anlagenzuwachs abgeschrieben und steht dann nur noch mit der Hälfte des Anschaffungswerts oder noch weniger in der Bilanz – das sind gerade einmal 20% des Um- satzes. (Zugleich muss für diese Umsatzerweiterung noch in Bestände und Forderungen investiert werden.) Aus diesem Grund muss ein Unternehmen, auch wenn es nur eine mode- rate Wachstumsrate von etwa 5% pro Jahr hat, deutlich mehr als die Abschreibungen investieren, sagen wir im Schnitt 120% der jährlichen Abschreibungen. Wenn also die Abschreibungen 4% vom Umsatz sind und das Unternehmen 5% vom Umsatz jährlich investieren muss, dann muss 1% des Umsatzes zusätzliche Finanzierung (über die Abschreibungen hinaus) beigebracht werden. 2. Normal- und Projektinvestitionen Die gesamten Investitionen trennt man aus Gründen der Pla- nungsübersicht in die Normalinvestitionen und die Projekt- investitionen. Die Investitionen, die als jährliche Normalinves- titionen auftreten, sind selten ein Problem. Dann gibt es aber besondere Investitionsprojekte, z.B. die Erweiterung der Ferti- gungsanlagen, den Aufbau eines Auslandsstandorts oder die Entwicklung eines neuen Produkts. Bei diesen Projekten müssen mehrere Einzelanlagen gemeinsam errichtet oder Aufwandspro- jekte geleistet werden, damit das angestrebte Ergebnis erreicht wird. Damit für die Projektinvestitionen, mit denen das Unter- nehmen Stufensprünge der Entwicklung machen kann, genügend Volumen bleibt, sollte man bei den Normalinvestitionen eine knappe Richtlinie vorgeben, z.B. 80% oder 90% der Abschrei- bungen. Die größeren Investitionsprojekte lassen sich nur in guten Zeiten umsetzen. In der Rezession muss man an den Investitionen sparen, um die Liquidität nicht zu belasten. Zudem sind in der Rezession die Kapazitäten ohnehin nicht ausgelastet, es bedarf also keiner Erweiterungsinvestition. In der Rezession muss man vielleicht auf die Hälfte der Abschreibungen als Inves ti tions- betrag heruntergehen. Dafür kann man dann in normalen, guten Konjunkturlagen mehr als den Durchschnitt ausgeben, z.B. 140% der Abschreibungen. 3. Dimensionierung der Investition unter dem Kriterium der Tragfähigkeit Es ist unwahrscheinlich, dass – bei einem knappen Investi- tionsbudget – unsinnige Investitionen getätigt werden. Umge- kehrt kann es sich kein Unternehmen leisten, alle Investitions- wünsche, die sinnvoll sind und für die auch ein Nutzen irgend- wie gerechnet werden kann, auch „auf einen Schlag“ zu tätigen. Der entscheidungsrelevante Punkt bei der Investitionsplanung ist nicht die Rendite, sondern die Tragfähigkeit der Investitionen im Hinblick auf die Finanzierbarkeit und das Risiko einer etwai gen Entwertung. Die Entwertung tritt – wie erwähnt – ein, wenn sich die Nutzenerwartungen nicht erfüllen oder eine neue, bessere Technologie verfügbar wird. Je höher das Risiko einer Investi- tion ist, je eher ein völliger Fehlschlag möglich ist oder zumin- dest nicht ausgeschlossen werden kann, desto wichtiger ist es, dass die Investition aus Eigenmitteln – z.B. aus einbehaltenen Gewinnen – finanziert wird. Und umgekehrt: Je geringer das Risiko der Investition ist, desto eher ist auch ein großes Volu- men tragfähig, das auch weitgehend aus Fremdfinanzierung bestritten werden kann. Unter dem Aspekt der Tragfähigkeit einer Investition steht nicht die Frage im Vordergrund, wie viel Rendite sie bei plan- gemäßem Verlauf bringt, sondern welche Alternativen beste- hen, wenn die Investition misslingt. Ein Beispiel: Das Geschäft, für das Gebäude gebaut wurden, entwickelt sich nicht – was kann dann mit den Gebäuden angefangen werden? Das erworbene Unternehmen kann nicht integriert werden – kann es dann an einen anderen Interessenten weiterverkauft werden? Aus all diesen Überlegungen ergeben sich Norm- werte für die Größenordnung und Unsicherheitspotenziale von Investitionen. Im Zweifelsfall können Investitionen nicht getä- tigt werden, wenn sie die Existenz oder zumindest die Unab- hängigkeit des gesamten Familienunternehmens gefährden könnten. Bei den großen Investitionsprojekten stellt sich zudem immer die Entscheidungsfrage: Soll man Schritt für Schritt investieren oder gleich die optimale Auslegung mit Reserve für die Zukunft wählen? Da die Höhe und der Zeitpunkt der zukünftigen Erträge stets unsicher sind, ist es besser, erst einmal nur in einer kleinen Konzeption zu investieren. Wenn dann später doch bald FUS I SONDERAUSGABE/2022 71

Gesellschafterkompetenz Grundsätze der Finanzierung Finanzplanung für die Risiken der Unternehmensführung Von Prof. Dr. Hermut Kormann ABSTRACT Die Finanzierungsstrategie beschafft die monetären Ressourcen für das Unternehmen. Bei der Aufnahme von Finanzmitteln bei Fremdkapitalgebern, aber ebenso von Eigenkapitalgebern, werden die Interessen der Familiengesellschafter unmittelbar be- rührt. Daher müssen die Gesellschafter die Grundsätze der Finanzierungsstrategie verstehen und sie auch zusammen mit der Geschäftsführung oder dem Beirat festlegen. I. Bedeutung der Fragen der Finanzierung Die derzeitige und geplante Struktur der Finanzierung des Familienunternehmens ist das Strategiethema, das die Gesell- schafter beschäftigen muss, weil darauf auch alle anderen Strategiethemen sowohl des Unternehmens als auch der Ge- sellschafterebene einwirken. Alle Umsatz- und Ertragsströme des operativen Geschäfts und alle Maßnahmen der Unterneh- mensentwicklung schlagen sich nicht nur in Aufwand und Ertrag, sondern auch in der Vermögensbindung (Sachanlage- vermögen, Bestände, Forderungen usw. auf der Aktivseite der Bilanz) und damit auch in der entsprechenden Kapitalbindung auf der Passivseite nieder. Diese zentrale Position der Finan- zierung führt aber in aller Regel nicht dazu, dass hier regel- mäßig Probleme anstehen. In normalen Zeiten ist die Finanzie- rung – zumindest der reiferen Unternehmen in der zweiten oder folgenden Generation – kein schwieriges Unterfangen. Und dennoch müssen sich die Gesellschafter regelmäßig mit der Finanzierung befassen. Nur so können sie darüber urtei- len, ob eine bestimmte Finanzierung dazu beiträgt, ein geschäft- liches Problem zu lösen, oder aber die Liquidität des Unter- nehmens eher beeinträchtigt. Die Finanzierung ist immer ein Problem, wenn ein Unterneh- mensgründer sich aufmacht, selbständig tätig zu werden, und aus dieser erfolgreichen Selbständigkeit heraus daran geht, ein Unternehmen aufzubauen. Am Anfang gibt es keine Belei- hungsgrundlagen für Kredite, keine Historie des Geschäfts- erfolgs, es dient allein die persönliche Kreditwürdigkeit des Unternehmers als Beurteilungsgrundlage für die notwendigen Kredite. Die hohen Wachstumsraten bei neu gegründeten Unternehmen können fast nie allein durch einbehaltene Gewinne oder Lieferantenkredite finanziert werden. Es sind hier Fremdkapitalfinanzierungen notwendig, die aber für den Unter- nehmensgründer möglicherweise schwierig zu erhalten sind. In diesen Fällen begrenzen die beschaffbaren Finanzmittel die Entwicklungsmöglichkeiten des Unternehmens. Ganz anders hingegen ist die Lage bei einem Unternehmen mit einer einge- schwungenen Geschäftstätigkeit in der zweiten oder dritten Generation. Es bestehen dann eingespielte Bankbeziehungen, die in aller Regel ausreichende Kreditrahmen eröffnen, um das Geschäft und seine stetige Entwicklung zu finanzieren. Eine Unternehmensplanung, die eine solche stetige Unternehmens- entwicklung prognostiziert, wird einen Finanzplan umfassen, der zeigt, dass die Finanzierungsanforderungen erfüllt werden können. Dabei stehen neue Vertriebswege, Innovationen oder größere Fertigungskapazitäten im Vordergrund zur Debatte. Doch auch in dieser Situation sollte die Analyse der Finanzpla- nung ein eigenständiger Tagesordnungspunkt auf der Gesell- schafterversammlung sein. Hierbei ist nicht so sehr die aus der Unternehmensplanung insgesamt abgeleitete Finanzplanung Gegenstand der Analyse. Hier geht es vielmehr um die Funk- tion, dass die Finanzplanung dafür gerüstet sein muss, die Funktionsfähigkeit des Unternehmens sicherzustellen, wenn die Umsatz- und Ertragsplanung negativ verfehlt wird oder INHALT I. Bedeutung der Fragen der Finanzierung II. Finanzierung für die Abweichung von der Unternehmens planung III. Außerordentliche Liquiditätsbedarfe für das Unternehmen IV. Außerordentliche Liquiditätsbedarfe für die Gesellschafter V. Normen für die Fremdkapitalfinanzierung VI. Normen für die Eigenkapitalfinanzierung FUS I SONDERAUSGABE/2022 73

Gesellschafterkompetenz Ganz schwierig wird die Vorhersehbarkeit und die Finanzvor- sorge, wenn es sich um Gesellschafterkonflikte handelt, die eventuell nur durch die Ausbezahlung eines Gesellschafters gelöst werden können. V. Normen für die Fremdkapitalfinanzierung Bei der Fremdfinanzierung wird seitens des Kapitalgebers – hier meist der Bank – ein Liquiditätsbetrag für eine bestimmte Zeit unter bestimmten Randbedingungen, die der Kredit- nehmer einhalten muss, zur Verfügung gestellt. Bereits die Spezifikation der Randbedingungen ist Ausdruck eines Mitspracherechtes des Kreditgebers. Dies setzt sich fort in Berichtspflichten des Kreditnehmers oder eventuellen Zu stimmungserfordernissen bei außerordentlichen Investiti- onen. Die Gegenleistung des Kreditnehmers besteht in der Zusage, für den Kredit bestimmte Zinsen zu zahlen, den Kredit innerhalb einer bestimmten Zeitachse oder bei Eintritt bestimmter Ereignisse zurückzubezahlen, und schließlich darin, sich den Mitspracherechten des Kreditnehmers zu unterwerfen. Für die Gesellschafter sind selten die Kosten der Finanzierung von Interesse. Für die Gesellschafter ist eigent- lich nur wichtig, welche Mitspracherechte der Kreditgeber während der Laufzeit hat und was passiert, wenn der Kredit nicht planmäßig zurückgeführt werden kann. Entscheidend ist dabei, dass die Unabhängigkeit des Unternehmens nicht gefährdet wird. Da in Deutschland die Banken im Grundsatz bereit und interessiert sind, Kredite an Unternehmungen zu geben, wird dies die bevorzugte Form der Fremdkapitalfinan- zierung sein, solange das Unternehmen kreditwürdig ist. Verbriefte Kredite, die das Unternehmen im Kapitalmarkt platziert, können gegenüber den Bankkrediten Vorteile aufweisen, solange die Zinszahlung und die Kreditrückzah- lung gesichert sind. Bei Verletzung der Vertragsbedingungen ist das Risiko jedoch viel größer, dass das Unternehmen seine Unabhängigkeit verliert. Aus diesem Grunde gehört es zu den grundsätzlichen Fest legungen einer guten Governance, dass Normen zur Finan- zierung vor allem für die Fremdkapitalfinanzierung des Unternehmens bestehen. Die übergeordnete Zielsetzung für die Fremdkapitalfinanzierung ist es, zwischen mehreren Teilzielen einen gangbaren Weg zu finden: • Einerseits gilt es, die für eine gute Unternehmensent wicklung erforderlichen Finanzierungsmittel zu erhalten. • Andererseits sollen gegenüber den Wettbewerbern nicht dadurch Nachteile entstehen, dass man wesentlich schlechter als diese finanziert ist. • Schließlich ist zu vermeiden, dass man von einem Kredit- geber abhängig wird und dieser die unternehmerische Entscheidungsfähigkeit beschränkt, wenn nicht gar die Unabhängigkeit der Eigentümerstellung beeinträchtigt. Es gibt für jede Branche Finanzierungsrelationen, die als nor- mal oder riskant anzusehen sind. Die Spannbreite bewegt sich dabei vermutlich von 2,5-mal Ergebnis vor Steuern, Zinsen, Abschreibungen und Wertberichtigungen (EBITDA) bis dreimal EBITDA. Die Formel sagt, in wie vielen Jahren diese Verbind- lichkeit aus dem Cashflow getilgt werden könnte. Das ist aber nicht der Kern der Logik. Durch solche Finanzierungs- relationen soll nur die Verschuldung zwischen Unternehmen verschiedener Größe und Ertragskraft vergleichbar gemacht werden. Dahinter stehen Erfahrungswerte über die Ausfallwahr- scheinlichkeit von Krediten. Das Unternehmen muss sich des- halb an solche Normen halten, um nicht schlechter finanziert zu sein als die maßgeblichen Wettbewerber und um von den Kreditgebern als vergleichsweise akzeptables Kreditrisiko ein- gestuft zu werden. Die Normen sind in guten Zeiten meist leicht einzuhalten. Die entscheidende Frage ist, welchen Sicherheits- puffer das Unternehmen für Zeiten schlechter Ertragslage vor- hält. Eine Verschuldung von zweimal EBITDA in guten Zeiten wird automatisch zu einer Relation von dreimal EBITDA führen, wenn das EBITDA um ein Drittel absinkt (wobei sich das EBIT in etwa halbiert und Abschreibungen und Wertberichtigungen gleich bleiben). Eine andere Relation, nach der die Tragfähig- keit von Fremdkapitalfinanzierungen beurteilt wird, ist etwa die „Interest Cover“. Sie besagt, welches Vielfache das Ergebnis vor Zinsen und Steuern in Bezug auf den Zinsaufwand ist. Ei- ne Relation von vier ist hierbei in normalen Zeiten als gut an- zusehen. Bei diesen Finanzierungsrelationen werden im Übri- gen die Pensionsverpflichtungen als „verzinsliche Verbind- lichkeit“ behandelt, was auch richtig ist. Es ist nicht entschei- dend, wie diese Normen für die maximale Fremdkapitalfinan- zierung ermittelt werden. Entscheidend ist vielmehr, dass es überhaupt eine Grenze gibt, die nicht überschritten werden sollte. Für Investitionen gibt es immer gute Argumente, und bei der Aufnahme von zusätzlichem Fremdkapital „geht immer noch etwas“ bei irgendeinem Kreditgeber. Der Gefahr, dass man so schrittweise in eine zu große Kreditaufnahme gleitet, kann nur durch eindeutige Grenzziehungen begegnet werden. Grundsätzlich ohne Fremdkapital zu arbeiten ist auch kein sinnvoller Grundsatz. Z.B. kann eine Fremdkapitalaufnahme von 20 % vom Umsatz im Notfall durch ein Factoring des Forderungsbestandes und ein Sale-and-lease-back-Verfahren einiger Gebäude in einem Zug zurückgeführt werden. Wenn nun – mit welcher Relation auch immer – eine Ober- grenze für die Kreditfinanzierung festgelegt ist, ist davon noch abzusetzen, welche Finanzierungsreserve für die oben an- geschnittenen Planungsunsicherheiten und nicht geplanten Liquiditätsbedarfe vorzuhalten ist. Es ist dann zu entschei- den, ob diese Finanzierungsreserve nur als freier Kreditrahmen (fest zugesagt, dann meist mit Reservierungsgebühr belegt) be- stehen soll oder ob man diese Reserve in liquiden Aktiva FUS I SONDERAUSGABE/2022 75

Gesellschafterkompetenz Geschäftsmodellinnovation – ein Muss im digitalen Zeitalter Die Struktur des Geschäfts ist permanent anzupassen Von Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Péter Horváth ABSTRACT Die Digitalisierung erstreckt sich auf alle Märkte, Strukturen, Prozesse und Produkte – ohne Ausnahme. Für jedes Unternehmen ist es existenziell wichtig, sich mit den konkreten Chancen und Risiken auseinanderzusetzen. Mithilfe des Geschäftsmodellkonzepts ist es möglich, hier ganzheitlich vorzugehen. I. Die Digitalisierung als unternehmerische Herausforderung Hinter dem inflationär verwendeten Begriff „Digitalisierung“ ver- bergen sich zwei interdependente Themenkomplexe. Im enge- ren technischen Sinne ist die Digitalisierung die Umwandlung jedweder analoger Informationen (z.B. akustische Signale, Tem- peraturen, Fotos, Texte etc.) in digitale Informationen („Bits“), die dann elektronisch verarbeitet und ausgewertet werden. Im weiteren Sinne meint man die vielfältigen und umwälzenden Auswirkungen der digitalen Informationstransformation auf Wirtschaft und Gesellschaft. Wir wollen uns in diesem Beitrag auf die Unternehmensaspekte der Digitalisierung konzentrieren. Nach diesem Fokus ist Digita- lisierung die Transformation aller Prozesse, Produkte und Ser- vices im Unternehmen unter Nutzung der IT-Technologie. Die Transformation schließt somit die grundlegende innovative Ver- änderung des Geschäftsmodells ein. Ökonomisch liegt die Bedeutung der Digitalisierung in drei uni- versellen Wirkungsprinzipien.1 • Informatisierung: Nahezu jeder Gegenstand kann automati- siert Daten erzeugen („Internet der Dinge“). Die Verarbeitung dieser Daten kann weitgehend durch Algorithmen gestützt erfolgen und dadurch Entscheidungen generieren. Hierauf basiert das Konzept von Industrie 4.0. • Vernetzung: Die Digitalisierung ermöglicht eine weltweite, technische und soziale Vernetzung sämtlicher Wirtschafts- und Lebensbereiche. So können völlig neue Wertschöpfungs- strukturen entstehen. Die informationelle Transparenz sowie Echtzeitinteraktionsmöglichkeiten führen zu einer erhebli- chen Beschleunigung des Wirtschaftsgeschehens. • Skalierung: Die Digitalisierung schafft neue Produkte („digi- tale Güter“), die zwar einmalig Fixkosten verursachen, deren Vervielfältigung und Distribution aber nur mit marginalen Grenzkosten verbunden ist (z.B. Software-Apps). Mit zuneh- mender Kundenzahl können die Durchschnittskosten somit radikal gesenkt werden. 1 Picot/Hopf/Sedlmeir (2017), S. 91 ff. Die digitale Transformation ist gegenwärtig die größte aktionelle Herausforderung an alle Unternehmen. Sie wird durch die wachsende Schnelligkeit, Komplexität gepaart mit Unsicherheit im Wettbewerb verstärkt. Für die Führung eines Unternehmens ist es also existenziell, das feststehende Geschäftsmodell lau- fend an neue Anforderungen anzupassen. Mittelständische Familienunternehmen haben hier einerseits durch ihre Flexibilität gute Chancen, im Wettbewerb mitzuhalten; andererseits sind sie vielfach wegen ihrer Einbindung in die weltweiten, von großen Konzernen bestimmten Wertschöp- fungsketten Getriebene der digitalen Entwicklung. Betrachtet man die großen – und vielen kleinen – Unterneh- menspleiten der letzten Jahrzehnte, so lässt sich generell fest- stellen, dass die Ursachen hierfür allermeist in der fehlenden oder mangelhaften Anpassung des Geschäftsmodells und der Unternehmensstrategie an die sich verändernden Wettbe- werbsbedingungen bestanden. Die Digitalisierung verschärft diesen Anpassungsdruck. II. Geschäftsmodelle müssen permanent auf den Prüfstand Der in vielen Lehrbüchern beschriebene typische Prozess der jährlichen Planung hat in zahlreichen Unternehmen seinen Aus- gangspunkt in der Überprüfung einer langfristig festgelegten Strategie. Wie bereits ausgeführt, ist ein solches Vorgehen im digitalen Zeitalter höchst risikoreich: Disruptive Veränderungen finden nicht im Jahresrhythmus statt. Daher reicht es nicht, nur ein- zelne Aspekte der Unternehmensstrategie bisweilen auf Chan- cen und Risiken zu überprüfen. Erforderlich ist vielmehr die INHALT I. Die Digitalisierung als unternehmerische Herausforderung II. Geschäftsmodelle müssen permanent auf den Prüfstand III. Einfluss der Digitalisierung auf das Geschäftsmodell IV. Entwicklung und Steuerung von Geschäftsmodellinnovationen V. Fazit FUS I SONDERAUSGABE/2022 77

Gesellschafterkompetenz Typen digitaler Geschäftsmodelle Dtl Add-on Cpct Shrn Dtl Loc-n Dtle Produt- onfurton Mehrwert/ Umstzsteerun Dtles Mretn Personlserte Werbun Crowdfundn Dtl Subscrpton Smrt Products Automtserte Auftrsverrbetun Plttformhndel B2B B2C Smrt Servces Open Innovton Chtbots m undensupport Wertnebot Wertschpfun Wertscherun Welche Geschftsmodelldmenson wrd dtlsert l t o f r e v n u r e s l t D Effzenz/ ostensenun r e d t m d r w l e Z e r m r p s e h c l e W Abb. 2; Quelle: Hupfer/Wytopie/Gerhardt (2021), S. 31 kreativ zu verändern, um ihre Wettbewerbsfähigkeit zu er- halten bzw. zu verbessern (z.B. Onlinehandel im stationären Einzelhandel). Im Laufe der letzten Jahre sind zahlreiche Formen von digita- len Geschäftsmodellen entstanden. Weil sie sich z.T. in der Gestal tungsstruktur überlappen, ist es herausfordernd, hier eine Systematisierung vorzunehmen. Eine gute Übersichtlichkeit verschafft das IPRI-Modell (Abb. 2), das zwei Dimensionen der Strukturierung verknüpft: • Was die primäre Zielsetzung der Digitalisierung betrifft, so kann entweder die Vergrößerung des Geschäftsvolumens oder die Effizienzsteigerung durch Kostensenkung im Fokus stehen. • Hinsichtlich der vorrangigen Wertdimension des Modells las- sen sich Wertangebot, Wertschöpfung und Wertsicherung unterscheiden. Digitalisierung und Internet haben neue Branchen mit eigenstän- digen Geschäftsmodellen hervorgebracht. Sie haben allesamt auf die Geschäftsmodelle der klassischen produzierenden Indus trie vielfach einen geschäftsmodellverändernden Einfluss. Man kann vier Einflussvarianten auf bestehende Unternehmen unterscheiden4: 1. Konstituierende Wirkung, d.h., ohne Internet kann das Geschäftsmodell nicht existieren (z.B. E-Commerce). 2. Aufwertende Wirkung, d.h., das Internet kann das beste- hende Geschäftsmodell aufwerten (z.B. Smart Service). 4 Fleisch/Weinberger/Wortmann (2015), S. 453 ff. 3. Irrelevante Wirkung, d.h. kein Einfluss auf das bestehende Geschäftsmodell (z.B. Franchising). 4. Zerstörende Wirkung, d.h., das Internet macht das beste- hende Geschäftsmodell obsolet. Die Digitalisierung in der Industrie erhielt durch die Initiative Industrie 4.0 einen konzeptionellen Rahmen. Sie steht für die internetbasierte Vernetzung von Produkten und Prozessen ent- lang der industriellen Wertschöpfungskette. Im neuen Wertschöpfungsprozess steuern smarte Produkte ihren Weg in der Produktions- und Logistikkette. Smarte Pro- dukte können vier aufeinander aufbauende Funktionsstufen durchlaufen (vgl. Abb. 2): Überwachung, Steuerung, Optimie- rung, Automatisierung. Als revolutionär in dem Konzept Industrie 4.0 wird die hori- zontale und vertikale Integration der Wertschöpfung ange- sehen: • Die horizontale Integration bezeichnet die digitale Vernet- zung aller Prozessschritte von der Eingangslogistik bis zum Vertrieb sowohl innerhalb des Unternehmens als auch außer- halb der Unternehmensgrenzen (Zulieferer, Kunden und an- dere Partner). • Die vertikale Integration bezieht sich auf die Vernetzung aller Hierarchieebenen im Unternehmen von der Unternehmens- führung bis zum „Shopfloor“. In der sogenannten Smart Factory („intelligente Fabrik“) kann der Steuerungsprozess (im Idealfall) in Echtzeit erfolgen, d.h., in jedem Bereich des Systems sind die steuerungsrelevanten Informationen im Entstehungszeitpunkt vorhanden und lösen automatisierte oder menschlich initiierte Steuerungsentschei- dungen aus. FUS I SONDERAUSGABE/2022 79

Gesellschafterkompetenz Steuern im Familienunternehmen Teil 1: Die Bedeutung der Steuern bei der Rechtsformwahl im Familienunternehmen Von Dr. Bertram Layer ABSTRACT Der Beitrag vermittelt einen Überblick über die laufende Besteuerung von Familienunternehmen. Dargestellt werden die Beson- derheiten bei der Besteuerung von Personengesellschaften, die Besteuerungssituation bei Kapitalgesellschaften und die Bedeutung der Steuern bei der Rechtsformwahl. In diesem Zusammenhang erläutert werden auch die Möglichkeit der Inan- spruchnahme der Thesaurierungsbegünstigung für nicht entnommene Gewinne bei Personengesellschaften und die neu geschaffene Option für Personengesellschaften, zur Körperschaftsteuer zu optieren. I. Einleitung Im Folgenden soll ein Überblick vermittelt werden, welche Steu- ern den laufenden Geschäftsbetrieb des Unternehmens belas- ten (Einkommensteuer, Körperschaftsteuer, Gewerbesteuer). Hierbei spielt die Rechtsform des Unternehmens eine entschei- dende Rolle. Weitere Fragen, die mit der Umwandlung des Unternehmens in eine andere Organisationsform verbunden sind ober aber die Steuern beim Gesellschafterwechsel und bei der Unternehmensnachfolge behandeln, werden in einem gesonderten Beitrag dargestellt. Deshalb wird nachfolgend der Schwerpunkt der Ausführungen in der Erläuterung der Besteuerungsunterschiede zwischen Personen- und Kapitalgesellschaften liegen.1 II. Die Besonderheiten der Besteuerung von Personengesellschaften Zunächst zur laufenden Besteuerung des Unternehmens. Vielen ist unbekannt, dass die Personengesellschaft – insbesondere auch die GmbH & Co. KG – nur handelsrechtlich, nicht jedoch einkommensteuerlich als quasi eigene Rechtspersönlichkeit existiert. Das Einkommensteuerrecht zerlegt nämlich im Wider- spruch zu dem realen Lebenssachverhalt das Unternehmen der Personengesellschaft in fiktive, ihren jeweiligen Gesellschaf- tern (steuerlich: Mitunternehmern) zuzurechnende Einzel- 1 Eine vertiefende Darstellung zu den Themen des Familienunternehmens im Steuerrecht findet sich bei Hennerkes/Kirchdörfer (2015): Die Familie und ihr Unternehmen, Kap. 10, S. 473 ff. Die nachfolgenden Ausführungen zu den Besteuerungsunterschieden von Personen- und Kapitalgesellschaften basieren auch mit freundlicher Genehmigung der Autoren weitestgehend auf den Dar stellungen in dieser Literaturquelle, insbesondere S. 476 ff. S. auch Kirchdörfer/Layer/ Seemann, Praxisleitfaden Familienunternehmen und Besteuerung Teil 1: Inland, hrsg. vom Wittener Institut für Familienunternehmen (WIFU), Witten 2019. betriebe. Jeder Gesellschafter besitzt – vereinfacht ausge- drückt – steuerlich seinen eigenen Teilbetrieb. Damit stellt die Steuerbilanz der Personengesellschaft eine Zusammenfas- sung der Einzelbilanzen ihrer Gesellschafterunternehmen dar. Aus dieser lebensfremden Fiktion – früher plakativ, aber sehr verständlich als „Bilanzbündeltheorie“ bezeichnet – ergeben sich erheb liche steuerliche Konsequenzen, von denen Kapi- talgesellschaften unberührt bleiben. Erst wer diese Konse- quenzen zumindest in ihren Umrissen kennt, kann ermessen, warum eine grundlegende Reform der Ertragsbesteuerung unserer Unternehmen so schwierig ist und warum auch mit der zum 1. Januar 2022 neu eingeführten und nachfolgend kurz erläuterten Möglichkeit für Personengesellschaften, zur Körperschaftsteuer zu optieren, so zahlreiche Fallstricke ver- bunden sind. Beim Einzelunternehmer stellt sich die Besteuerungssituation wie folgt dar: Für den außenstehenden Dritten ist nicht erkenn- bar, welche Gegenstände seines Vermögens dem Unterneh- men und welche ausschließlich seinen privaten Zwecken dienen. Eine Unterscheidung ist handelsrechtlich auch nicht erforderlich, weil der Einzelkaufmann für die Geschäftsver- INHALT I. Einleitung II. Die Besonderheiten der Besteuerung von Personengesellschaften III. Belastungsvergleich zwischen einer Personen­ und einer Kapitalgesellschaft IV. Veräußerungsgewinne V. Verrechnung von Verlusten VI. Fazit FUS I SONDERAUSGABE/2022 81

Gesellschafterkompetenz Unterschiede bei der Besteuerung von Kapital- und Personengesellschaften Rechtsform Gewinnverwendung Kapitalge- sellschaft Kapitalge- sellschaft Thesaurie- rung Ausschüt- tung Personengesellschaft Personengesellschaft Regelbesteuerung (Ausschüttung oder Thesaurierung) Weitestgehende Inanspruchnahme der Thesaurierungsbegünstigung; Regelbesteuerung (nur) für Entnahme der Gewerbesteuer bzw. der Einkommensteuer(-Vorauszahlungen); sonst keine weitere Entnahme von Gewinnanteilen Tarif 2021 2021 2021 2021 Belastung der Gesellschaft: Gewinn vor Steuern 100,00 100,00 100,00 100,00 Körperschaftsteuer Soli Gewerbesteuer (Hebesatz: 400%) 15,00 0,83 14,00 Steuer der Gesellschaft 29,83 Verbleibender Gewinn nach Steuer der Gesellschaft 70,17 Belastung der Gesellschaf- ter (ohne Kirchensteuer): Abgeltungsteuer (25% auf die Dividende der Kapital- gesellschaft) Einkommensteuer Pauschalierte Anrechnung der Gewerbesteuer auf die Einkommensteuer Soli Gesamtbelastung 29,83 Abb. 1; Quelle: Eigene Darstellung 15,00 0,83 14,00 29,83 70,17 – – 14,00 14,00 86,00 – – 14,00 14,00 86,00 17,54 – – – – 0,97 48,34 45,00 (Einkommensteuer-Spit- zensatz, berechnet auf den Gewinn vor Steuern) Einkommensteuer begünstigt auf den thesaurierten Gewinn (28,25% auf 53,29) = 15,05 Einkommensteuer nicht begünstigt (45% auf den für Steuerzahlungszwecke entnommenen Betrag von rund 46,71) = 21,02 14,00 1,71 46,71 14,00 1,21 37,28 Bereich entnommen, so wird der entnommene Betrag selbst- verständlich nachversteuert. Auf den ersten Blick könnte man nun glauben, dass der Thesaurierungssteuersatz von 28,25% in etwa dem entspricht, was auch Kapitalgesellschaften an Ertragsteuern auf thesaurierte Gewinne zu bezahlen haben, nämlich etwa 29,8%. Hierbei wird jedoch übersehen, dass der Familienunternehmer aus dem Gewinn der Personengesell- schaft zunächst die Gewerbesteuer und auch die Ein kommen- steuer(-Vorauszahlungen) begleichen, also zumindest diese Beträge aus der Gesellschaft entnehmen muss; in Höhe FUS I SONDERAUSGABE/2022 83

Gesellschafterkompetenz die Hand der Gesellschafter gelangen sollen (Steuersatzdif- ferenz gemäß Abb. 1 von ca. 1,4% zugunsten der Personen- gesellschaft). IV. Veräußerungsgewinne Auch wenn es um die Besteuerung von Gewinnen bei der Ver- äußerung von Gesellschaftsanteilen geht, bestehen zwischen der Personengesellschaft und der Kapitalgesellschaft erheb- liche Unterschiede. Die Kapitalgesellschaft ist auch hier im Regelfall bevorzugt. Im Fall der Veräußerung von Anteilen an einer Kapitalgesellschaft ist der Veräußerungsgewinn des Gesellschafters, sofern dieser mindestens zu 1% beteiligt ist oder die Beteiligung in seinem Betriebsvermögen hält, nach dem Teileinkünfteverfahren, d.h., 60% des Veräußerungs- gewinnes werden besteuert, steuerpflichtig. Bei Beteiligung des Gesellschafters unterhalb der 1%-Grenze, beispielsweise bei Beteiligung mit Aktien an einer großen Aktiengesellschaft unter 1%, ist der Veräußerungsgewinn, sofern die Betei ligung im Privatvermögen gehalten wird, mit der 25%igen Abgeltung- steuer zu versteuern. Für die Personengesellschaft gibt es eine solche generelle Ver- günstigung leider nicht. Nur einmal in seinem Leben kann der Steuerpflichtige für einen Veräußerungsgewinn von bis zu 5 Mio. EUR einen begünstigten Steuersatz in Höhe von 56% seines durchschnittlichen persönlichen Steuersatzes für sich in Anspruch nehmen; unterliegt der Veräußerungsgewinn – wie im Regelfall – also dem ESt-Höchststeuersatz von 45%, so wird der Veräußerungsgewinn bis zu 5 Mio. EUR nur mit 56% von 45%, also mit 25,2%, besteuert. Sowohl die Tatsache, dass diese Begünstigung nur einmal im Leben gewährt wird, als auch die Begrenzung des begünstigten Veräußerungsgewinns auf 5 Mio. EUR und der im Vergleich zum Teileinkünfteverfahren höhere Steuersatz stellen eine kaum zu rechtfertigende Diskri- minierung der Personengesellschaft dar. V. Verrechnung von Verlusten Bei Verlusten ist der Gesellschafter einer Personengesellschaft dagegen bessergestellt als der Inhaber von Anteilen an einer Kapitalgesellschaft. Der auf einen Gesellschafter einer Kom- manditgesellschaft entfallende Verlustanteil kann mit anderen positiven Einkünften aus sonstigen Einkunftsquellen bis zur Höhe seiner Kommanditeinlage (soweit sie noch nicht durch Verluste aufgezehrt ist) verrechnet werden. Eine solche Ver- rechnung auf Gesellschafterebene ist bei einer Kapitalgesell- schaft nicht möglich. Hier kann die Kapitalgesellschaft einen erlittenen Verlust lediglich in bestimmten Grenzen mit einem Gewinn des Vorjahres (= Verlustrücktrag) oder mit eigenen Gewinnen in der Zukunft verrechnen (= Verlustvortrag). VI. Fazit Vorstehende Ausführungen haben gezeigt, dass die steuer- lichen Aspekte bei der Wahl der richtigen Rechtsform und der optimalen Strukturierung einer Unternehmensgruppe eine wich- tige Rolle spielen. Die steuerlichen Aspekte dürfen aber keines- falls allein im Vordergrund stehen. Im Zuge der Rechtsform- wahl sind auch weitere Entscheidungskriterien zu beachten, beispielsweise Fragen nach den Haftungsrisiken und zu Pub- lizitätspflichten, Fragen der Mitbestimmung, Finanzierungs- fragen und Fragen der Geschäftsführung/Überwachung.7 Die steuerlichen Gesichtspunkte sollten daher die Entscheidung nicht dominieren. Aber auch wenn Entscheidungen unter Berücksichtigung der steuerlichen Rahmendaten getroffen werden, so muss zumindest sichergestellt werden, dass die einmal getroffene Entscheidung auch wieder rückgängig gemacht werden kann bzw. dass die Flexibilität besteht, einen Rechtsformwechsel durchzuführen. Mit diesem Aspekt und den Möglichkeiten der Übertragung des Unternehmens auf neue Gesellschafter oder inkl. der Unternehmensnachfolger wird sich ein gesonderter Beitrag in diesem Heft beschäftigen. 7 S. zu den Entscheidungskriterien bei der Rechtsformwahl Jacobs/Scheffler/ Spengel, Unternehmensbesteuerung Rechtsform, 5. Auflage 2015, S. 6 sowie Schiffer in Prinz/ Kahle, Beck’sches Handbuch der Personengesellschaften, 5. Auflage 2020, § 1 Rn. 54 ff. Dr. Bertram Layer ist Partner und Steuerberater bei Hennerkes, Kirchdörfer & Lorz in Stuttgart. KEYWORDS Personengesellschaft • Kapitalgesellschaft • Belastungsvergleich FUS I SONDERAUSGABE/2022 85

Gesellschafterkompetenz Strukturveränderungen/Umwandlungen Bei Personengesellschaften Bei Kapitalgesellschaften (siehe Abb. 2) Einbringung einzelner Wirtschaftsgüter Einbringung eines Betriebs, Teilbetriebs, Mitunternehmeranteils Unentgeltliche Übertragung eines Betriebs, Teilbetriebs, Mitunternehmeranteils bzw. unentgeltliche Aufnahme einer natürlichen Person in ein Einzelunternehmen Aus dem Privatvermögen Aus dem Betriebsvermögen Gegen Entgelt Ohne Entgelt Gegen Entgelt Unentgeltlich oder Gegen Entgelt Gegen Gewährung/Minderung Gesellschaftsrechte Veräußerung Folge: Gewinnrealisierung Gesellschaftsrechte Veräußerung Folge: Gewinn- realisierung, sofern Wirtschaftsgüter steuerverhaftet Einlage ohne Veräußerung Veräußerung Folge: Gewinnrealisierung Zwingend Buchwert- ansatz nach § 6 Abs. 5 Satz 3 EStG Sperrfristen § 24 UmwStG „Ansatz-Wahlrecht“ • Buchwert • Zwischenwert • gemeiner Wert § 6 Abs. 3 EStG zwingend Buchwertansatz Abb. 1; Quelle: Eigene Darstellung (Regelverschonung) bzw. sieben Jahren (Optionsverschonung) und die sogenannte Mindestlohnsumme muss in diesem Zeitraum eingehalten werden. Änderungen hinsichtlich der Mindest lohnsumme ergeben sich aber unter anderem für Unternehmen mit 20 Mitarbeitern oder weniger. Die Mindest- lohnsumme greift bereits für Unternehmen mit mehr als fünf Mitarbeitern. Die Begünstigung greift für die Übertragung von Großver mögen ab einem Anteilswert von mehr als 26 Mio. EUR grundsätzlich nicht ein. In diesem Fall gilt entweder auf Antrag die sogenannte Verschonungsbedarfsprüfung (§ 28a ErbStG) oder das soge- nannte Abschmelzmodell (§ 13c ErbStG). Eine wesentliche Änderung zum bisher bestehenden Erbschaftsteuerrecht liegt zudem in der separaten Besteuerung des Verwaltungsver- mögens. Schließlich wurden Sonderregelungen für Erwerbe von Todes wegen eingeführt: Es greift eine Investitionsklausel, wenn Verwaltungsvermögen innerhalb von zwei Jahren auf- grund eines vorgefassten Plans des Erblassers in begünstig- tes Vermögen umgeschichtet wird bzw. für Finanzmittel aus- nahmsweise auch dann, wenn diese zur Zahlung von Löhnen eingesetzt werden, und es wurde eine Stundungsregelung für sieben Jahre ins Gesetz aufgenommen (ab dem zweiten Jahr verzinslich zu einem Zinssatz von 6%). Ausländisches Betriebsvermögen eines Einzelunternehmens oder einer Personengesellschaft ist begünstigt, soweit es einer Betriebsstätte in einem EU- oder EWR-Mitgliedstaat dient. Dementsprechend kann auch eine qualifizierte Beteiligung an einer Drittlandsgesellschaft (z.B. einer in den USA oder der Schweiz angesiedelten Gesellschaft) begünstigt sein, wenn sie über eine EU-Kapitalgesellschaft, ein Einzelunternehmen bzw. eine gewerbliche oder gewerblich geprägte EU-Personen- gesellschaft gehalten wird. Einen Überblick über die grundsätzlichen Veränderungen in der Besteuerungskonzeption durch die Erbschaftsteuerreform 2016 gegenüber den bisherigen Regelungen sowie über den ersten Anwendungserlass der Finanzverwaltung nach der Erbschaft- steuerreform 2016 vermitteln die Beiträge in FuS – Zeitschrift für Familienunternehmen, 6(5) und 7(5). FUS I SONDERAUSGABE/2022 87

Gesellschafterkompetenz aber auch nur in einzelnen Wirtschaftsgütern ist daher ein gewisses Grundverständnis dieser Normen und eine Kenntnis damit verbundener Fallstricke sowohl für den Familienunter- nehmer als auch für dessen Berater unerlässlich. Die durch das Körperschaftsteuermodernisierungsgesetz (KöMoG) zum 1. Januar 2022 neu geschaffene Möglichkeit der Option für Personenhandelsgesellschaften, auf Antrag wie eine Kapitalgesellschaft behandelt zu werden (siehe hierzu auch die Ausführungen im Beitrag zu den Steuern in Abhängigkeit von der Rechtsform), gilt als Formwechsel im vorstehenden Sinne, für den in entsprechender Anwendung des § 25 UmwStG die Regelungen in den §§ 20 bis 23 UmwStG gelten. In der nach- stehenden Abb. 3 ist dies durch einen Hinweis beim Formwech- sel berücksichtigt. Die Personengesellschaft ändert durch den Antrag zur Körperschaftsbesteuerung allerdings nicht ihr Rechts- kleid. Sie bleibt weiterhin gesellschaftsrechtlich eine Personen- gesellschaft und wird nicht zu einer juristischen Person. 1. Überblick über die Vorschriften des Umwandlungssteuergesetzes Unter Verweis auf die vorstehenden Abb. 1 und 2 hat der Gesetz geber im UmwStG als Pendant zu den im Umwand- lungsgesetz (UmwG) verankerten Formen des Rechtsform- wechsels Möglichkeiten eröffnet, Strukturveränderungen im Unternehmen ertragsteuerneutral auszugestalten. Ohne diese Regelungen müssten steuerverhaftete stille Reser- ven im Vermögen der an der Umwandlung beteiligten Rechts- träger im Falle eines Vermögensübergangs regelmäßig aufge- deckt und versteuert werden. Das UmwStG beschränkt sich auf die ertragsteuerliche Behandlung von Umstrukturierungs- vorgängen, während ihre umsatzsteuerlichen und grunder- werbsteuerlichen Folgen den entsprechenden Einzelsteuer- gesetzen zu entnehmen sind. Das UmwStG lehnt sich im Aufbau nicht an das handelsrecht- liche Umwandlungsgesetz an, sondern erfasst auch Um- Sachverhalt Anwendbare Vorschriften des UmwStG Anwendungsbereich des UmwStG Eine GmbH soll formwechselnd in eine GmbH & Co. KG umgewandelt werden. Anwendbar sind die § 9, 3 bis 8 UmwStG. Durch den Wechsel von der Kapital- in die Personengesellschaft müssen die bei der GmbH thesaurierten Gewinne nachversteuert werden; ansonsten ist unter bestimmten weiteren Voraussetzungen auf Antrag eine Buchwert- fortführung möglich. Die Tochtergesellschaft T-GmbH soll auf die zu 100% beteiligte Muttergesellschaft (M-GmbH) verschmolzen werden. Anwendbar sind die §§ 11 bis 13 UmwStG, die Verschmelzung kann unter bestimmten weiteren Voraussetzungen auf Antrag zu Buchwerten erfolgen. Die T-GmbH soll auf eine Schwestergesellschaft der M-GmbH, die S-GmbH, abgespalten werden. Anwendbar sind die §§ 15 bis 16 UmwStG. Eine GmbH & Co. KG soll formwechselnd in eine GmbH umgewandelt werden. Anwendbar sind nach § 25 UmwStG die §§ 20 bis 23 UmwStG. Eine GmbH & Co. KG stellt den Antrag auf Besteuerung als Kapitalgesellschaft (§ 1a KStG). Die Option zur Körperschaftsteuer gilt als Formwechsel, für die nach § 25 UmwStG die §§ 20 bis 23 UmwStG entsprechende Anwendung finden. Die Einzelunternehmer A und B wollen eine gemeinsame Gesellschaft (OHG) gründen und ihre Einzelunternehmen in die OHG einbringen. Anwendbar ist § 24 UmwStG. Abb. 3; Quelle: Eigene Darstellung FUS I SONDERAUSGABE/2022 89

Keywords Impressum Keywords • Impressum Anteilsvinkulierung .......................................... S. 59–64 Balanced Scorecard ....................................... S. 54–58 Belastungsvergleich ........................................ S. 81–85 Business Governance ......................... S. 24–27, 28–31 Compliance .................................................... S. 28–31 Controller ....................................................... S. 54–58 digitale Reifegradstufen ................................... S. 48–53 digitaler Reifegrad ........................................... S. 48–53 Digitalisierung ..................................... S. 48–53, 77–80 Eigenkapitalfinanzierung .................................. S. 73–76 Einkommensteuergesetz ................................. S. 86–90 enkelfähiges Wirtschaften ................................. S. 8–13 Enkelfähigkeit ................................................... S. 8–13 Family Governance ......................................... S. 28–31 Finanzierung ................................................... S. 73–76 Finanzplanung ................................................ S. 73–76 Finanzrechnung .............................................. S. 54–58 Fremdkapitalfinanzierung ................................. S. 73–76 Führungsnachfolge ......................................... S. 38–42 Gap­Analyse .................................................. S. 54–58 Geschäftsmodell ................................ S. 20–23, 77–80 Geschäftsmodell ............................................ S. 77–80 Geschäftsmodellinnovation ............................. S. 77–80 Governance ............................S. 20–23, 28–31, 59–64 Industrie 4.0 ................................................... S. 77–80 interne Kontrolle .............................................. S. 24–27 internes und externes Rechnungswesen ......... S. 54–58 Investition ....................................................... S. 70–72 Investitionspolitik ............................................. S. 70–72 Investitionsrechnung ....................................... S. 54–58 Investitionsvolumen ......................................... S. 70–72 Kapitalgesellschaft .......................................... S. 81–85 Konfliktfähigkeit ............................................... S. 43–47 Kosten­ und Leistungsrechnung ...................... S. 54–58 Liquiditätsbedarfe ........................................... S. 73–76 Mission ........................................................... S.16–20 Mitbestimmung ............................................... S. 59–64 Nachfolge ...................................................... S. 38–42 Nachfolgeplanung .......................................... S. 38–42 Nachhaltigkeit .................................................. S.14–19 Nachhaltigkeit ................................................. S. 32–37 Nachhaltigkeitsorientierung .............................. S. 32–37 Nachhaltigkeitsstrategie .................................. S. 32–37 Nachhaltigkeitsziele ......................................... S. 32–37 Personengesellschaft ...................................... S. 81–85 Projektinvestitionen ......................................... S. 70–72 Psychologie ................................................... S. 43–47 psychosoziale Kompetenzen ........................... S. 43–47 Purpose .......................................................... S.14–19 Rechtsform .................................................... S. 65–69 Rechtsformwahl .............................................. S. 65–69 Rendite .......................................................... S. 70–72 Risikomanagement ......................................... S. 24–27 Strategie ....................................................... S. 20–23 Umstrukturierung ............................................ S. 86–90 Umwandlungssteuergesetz ............................. S. 86–90 Unternehmensführung .................................... S. 59–64 Unternehmensnachfolge ................................. S. 86–90 Verantwortung ................................................. S. 8–13 Vermögensnachfolge ...................................... S. 38–42 FuS – ZEITSCHRIFT FÜR FAMILIENUNTERNEHMEN UND STRATEGIE RECHT – MANAGEMENT – FAMILIE – STIFTUNG – VERMÖGEN Schriftleitung Prof. Rainer Kirchdörfer Wissenschaftliche Leitung Prof. Dr. Rainer Lorz, LL.M. Dr. Hermann Schöllhorn, LL.M.Eur. Verlag GoingPublic Media AG, Hofmannstraße 7a, 81379 München Tel.: 089­2000 339­0, E-Mail: info@goingpublic.de, Internet: www.goingpublic.ag Gesamtleitung Markus Rieger Tel.: 089­2000 339­0, Mobil: 0177­306 7012 E-Mail: rieger@goingpublic.de Redaktion Dr. Hermann Schöllhorn, Eva Rathgeber Tel.: 089­2000 339­0, E-Mail: redaktion@goingpublic.de Lektorat Benjamin Eder Grafik Robert Berger Titelbild © pinkeyes – stock.adobe.com Abo-Service Tel.: 089­2000 339­80, E-Mail: abo@fus­magazin.de Anzeigen und Kooperationen Nina Sterr, Tel.: 089­2000 339­30, E-Mail: sterr@goingpublic.de Gültig ist die Anzeigenpreisliste Nr. 4 vom 01.01.2016. Druck wirmachendruck.de Erscheinungstermine 2022 1/2022 (3.2.), 2/2022 (7.4.), 3/2022 (9.6.), Sonderausgabe Gesellschafterkompetenz (1.8.), 4/2022 (4.8.), 5/2022 (6.10.), 6/2022 (8.12.) Bezugspreise/Bestellungen/Kündigungen Einzelheft: 35,20 EUR (inkl. MwSt., zzgl. Versandkosten, Inland 1,80 EUR pro Ausgabe/Ausland 3 EUR pro Ausgabe). 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